Rigoletto wird von Monterone verflucht.
Monterone hat eine geschändete Tochter.
Die Tochter Rigolettos heißt Gilda, aber das ist fast das Einzige,
was sie weiß.

Rigoletto erzieht auch den Herzog.
Der Herzog verfolgt Gilda.
Rigoletto trifft Sparafucile, den Mörder.

Gilda trifft den heimlich Erträumten...
Gilda wird geraubt und geschändet.
Gilda beobachtet Maddalena, die Schwester des Mörders.

Monterones Fluch trifft Rigoletto.

Rigoletto trifft Sparafucile und glaubt sich in ihm wiederzuer-
kennen, muss aber schließlich den von ihm verhöhnten Monterone als
sein eigentliches Spiegelbild begreifen: das des ohnmächtigen
Vaters einer geschändeten Tochter.

Die zwei Welten des Rigoletto: hier sein Arbeitsplatz, die harte
helle, von Männern dominierte Herzogwelt, in der er als Hofnarr
verhasst ist und seinen ganzen Hass auf diese Welt ungezügelt
auslebt; dort die dumpfe und dunkle Gildawelt, Versteck für die
Tochter und gleichzeitig seiner anderen Existenz vor eben dieser
Tochter, in welcher er der egoistsch liebende, bürgerliche Vater ist.
Zwischen diesen Welten ausgespannt, scheinbar ohne Schnittmenge:
ein Niemandsland, ein Ort zum Weitergehen - unsere Spielfläche.
Ein Ort auch des Reflektierens, des Erinnerns von Unwiderruflichem,
des Erahnens von Kommendem.

Gilda trifft den Herzog: die beiden sind Liebende und wirken
gleichzeitig wie Geschwister, Kinder eines grausamen Vaters, die
sich nie finden werden, da sie Welten entstammen, die einander
ausschließen.

Scheint der Herzog so viel vom Leben zu wissen, dass es ihm
überdrüssig wird und er immer von Neuem immer größere Reize
sucht - am Ende kokettiert er gar mit dem Tod, wenn er sich in die
Spelunke Sparafuciles begibt -, so weiß Gilda nichts über ihre
Existenz, ihre Herkunft, nicht einmal den Namen des Vaters, der
Mutter. Ein Name gibt Identität, die ihr vom Vater verwehrt wird; die
Frage nach dem Namen des Geliebten hat für die daher besondere
Bedeutung: Der Besitz des geliebten Namens ist ein Schatz.
Gildas Ahnungslosigkeit ist komplett und macht sie zu einer
gleichzeitig starken, aber auch angreifbaren Figur, zum umgekehrten
Spiegel vom Herzog.

Das Motiv der Spiegelung, des Sich-Erkennens im Gegenüber, ist
die ureigenste Keimzelle des Werkes.

Entsprechend das des Sich-Verlierens: nach der kurzen Begegnung
mit Gilda erfüllt den Herzog zum ersten Mal so etwas wie eine
Ahnung des Mangels, welchen er in seiner Lebensweise erfährt:
Rigoletto hat ihm die Jagd nach schneller Lust beigebracht, das
Abtöten von Mitleid und Miterleben; aber keinen Ersatz geschaffen,
der die innere Leere auszufüllen in der Lage wäre. Ohne Gilda
fühlt der Herzog sich plötzlich arm und ausgedörrt; ein einziges
Mal ist er wirklich "echt", stellt sich in Frage - bis die Höflinge ihm
stolz ihre Morgengabe präsentieren: die ihm zur Lust herbeigeschleppte
Gilda, und er wieder zum Herzog wird, der er immer war.

Schon in der äußeren Struktur, im Wechsel von Hell und Dunkel,
entsprechen die ersten beiden Bilder - ein Herzogbild, eines
"in einer öden Sackgasse", dem dritten und vierten Bild:
Wieder beim Herzog, dann in der Spelunke.

So gleicht Verdis "Rigoletto" einem Prisma, oder besser einem
kostbaren Kristall, einem dunklen allerdings, den zahlreiche
optische Brüche durchziehen und so, je nach Blickwinkel des
Betrachters, neue Aspekte der Figuren und ihrer Konstellationen
zum Vorschein bringen.

Rigoletto trifft Sparafucile: hier wird das Motiv des Gespiegelt-
Werdens etabliert, hier erhebt sich auch das Motiv des Tanzes
unüberhörbar in der weitgeschwungenen Kantilene von Cello und
Kontrabass: der Tanz des Spaßmachers mit dem Mörder, des
Narren mit dem Tod - ein Totentanz.

Joachim Rathke

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