Aus: „IOCO Kultur im Netz“ vom 15.10.2018

Julian Führer: „Es wird der Tod zum Dichter“

Das Ensemble Opera Factory Freiburg (früher Young Opera Company) verfolgt das ambitionierte Ziel, Stücke, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ins Kernrepertoire der großen Häuser gekommen sind, aufzuführen. Nun hat sich die Formation unter der Leitung von Klaus Simon an den „Kaiser von Atlantis“ gewagt und dieses 1943 entstandene, aber erst 1975 uraufgeführte Stück um eine bedenkenswerte Interpretation bereichert. Die Regie lag bei Joachim Rathke.

Viktor Ullmann und sein Librettist Peter Kien waren ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden. Es war kein Vernichtungslager, nach außen hin gar als „Musterlager“ präsentiert. Ullmann konnte dort Musik schreiben, war sehr produktiv. Dennoch erfahren wir, dass es schwierig war, an Notenpapier zu gelangen, und vor allem drohte permanent der Abtransport in den Tod. Unter den dortigen prekären Bedingungen entstanden mehrere Fassungen des Librettos, und auch einzelne Musikstücke wurden geändert. Es gab Proben, die abgebrochen wurden, eine Überarbeitung, weitere Proben bis zu einer Generalprobe – zu einer Aufführung kam es nicht. Im Oktober 1944 wurden Kien und Ullmann nach Auschwitz geschickt, wo sie vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern starben.

Zu Beginn ist der Bühnenraum dunkel und in diffusen Nebel getaucht. Das Stück wurde um einen Prolog erweitert, den Anno Schreier komponiert hat: düstere Akkorde vom Flügel, dazu langsam hohe Töne der Violine, manchmal der Flöte. Eine Form der Ouvertüre, die Ullmanns sehr abruptem Start ins Stück („Hallo, hallo!“) widerspricht, aber stimmig die Lichtregie und das Konzept des Abends unterstützt. Dazu treten die Personen der Handlung auf und schieben ein mehrstöckiges Gerüst nach vorne.

Worum geht es? „Der Kaiser von Atlantis“ ist eine Art Parabel, die starke Gegenwartsbezüge aufweist. Die 18 Nummern zeigen uns eine Welt, die weder räumlich noch zeitlich zu fassen ist und dennoch eindeutigen Verweischarakter hat: „Das erste Bild spielt irgendwo; Tod und Harlekin sitzen im Ausgedinge, das Leben, das nicht mehr lachen und das Sterben, das nicht mehr weinen kann in einer Welt, die verlernt hat, am Leben sich zu freuen und des Todes sterben zu lassen.“ Der Kaiser von Atlantis Overall scheint dem Namen nach aus mythischer Vergangenheit zu kommen, aber er bedient sich modernster Technik. Ihm zur Seite stehen ein Lautsprecher, also ein modernes Medium, und ein Trommler, also eine Art Vorläufer des Lautsprechers. Tod erinnert sich (zu einer schwungvollen Melodie) an frühere Zeiten: „Das waren Kriege, wo man die prächtigsten Kleider trug, um mich zu ehren“. Overall nun lässt seinen Trommler nach einer Einleitung zu den ins Phrygische verzerrten Klängen des Deutschlandlieds (und gleichzeitig der alten österreichischen Kaiserhymne) „den großen, segensreichen Krieg aller gegen alle […] verhängen“. Dies wird selbst dem Tod zuviel („Was bleibt mir übrig, als hinter den neuen Todesengeln zu hinken, ein kleiner Handwerker des Sterbens“). Tod lehnt sich gegen das selbst ihn überfordernde mechanisierte Massensterben auf („Hörst du, wie sie mich höhnen? Die Seelen nehmen kann nur ich“) und tritt in einen Streik.

Diese Groteske wirkt vor dem Hintergrund der Werkentstehung beklemmend. Was ist die Konsequenz? Ein Leben ohne Tod ist ins Grässlichste gesteigerte Verlängerung von Leid, wie es der Lautsprecher verkündet: „Tausende ringen mit dem Leben, um sterben zu können.“ Gleichzeitig ist das Nicht-Sterben schon ein Akt des Widerstands gegen ein sich allmächtig gebendes Regime. Kaiser Overall realisiert, was ihm da droht: „Ringt den Tod man aus der Hand mir? Wer wird in Zukunft mich noch fürchten? Weigert sich der Tod zu dienen?“ Overall lässt Aufständische aufhängen (der Vorgang wird durch den Lautsprecher berichtet), die nicht sterben: „Henkt der Henker in zweiundachtzig Minuten nicht zu Tode!?“ Die Gehenkten sollen obendrein noch erschossen werden, dies geschieht auch, doch tot sind sie immer noch nicht. Diese Szenerie lässt an das absurde Theater Alfred Jarrys denken, aber vor dem Hintergrund des täglichen Massensterbens und alltäglicher Hinrichtungen 1943/1944 weicht das Absurde dem nackten Grauen. Tod kann gerade in dieser Situation auch Erlösung bedeuten: „Bin der, der von der Pest befreit, und nicht die Pest.“

Die Figuren der Handlung irren durch den Bühnenraum, erklimmen auch das Gerüst, von dem im Lauf des Abends immer deutlicher wird, dass es in seiner unteren Ebene den abgeschlossenen Palast des Kaisers darstellt, aus dem heraus Befehle aus Papier herausgegeben werden; die obere Ebene hingegen ist eine Art Aussichtspunkt für Tod und Harlekin, aber auch ein Wachtturm mit Suchscheinwerfer, der sowohl das Publikum als auch den Soldaten Bubikopf blendet. Die fast idyllische Szene zwischen einem Soldaten (Tenor) und Bubikopf (Sopran) zeigt das Ausbrechen aus dem gegenseitigen Massentöten: „Ich will’s nicht, du sollst nicht leiden, schau, die Welt ist hell und bunt.“ – „Ist’s wahr, dass es Landschaften gibt, die nicht von Granattrichtern öd sind? Ist’s wahr, dass es Worte gibt, die nicht schroff und spröd sind?“ Kurz blüht eine Utopie auf, und Ullmann bedient sich der Stimmfächer, die in der Tradition der Oper den großen Liebespaaren vorbehalten waren. Er wechselt dauernd den Stil, macht Anleihen bei Kurt Weill, hat aber auch ganz eigene Ausdrucksarten.

Eine Handlung im Sinne der inneren Entwicklung der Figuren gibt es nicht, wie die Figuren ja ohnehin namenlose Typen ohne eigentliche Individualität sind. Harlekin sinniert: „Schlaf, Kindlein, schlaf: Ich bin ein Epitaph.“ Overall scheint wahnsinnig zu werden, da verkündet eine Stimme: „Der Krieg ist aus.“ Zur leicht verfremdeten Melodie von „Ein feste Burg ist unser Gott“ singen Bubikopf, Trommler, Harlekin und Lautsprecher „Komm Tod, du unser werter Gast“. Die Musik verdämmert, das immer wieder sehr stimmungsvolle Licht ebenfalls. Anno Schreier hat auch einen Epilog beigesteuert, der musikalisch an den Prolog anknüpft, aber auch die Trommeln aus Ullmanns Stück wiederaufnimmt und ein Verdämmern in Musik setzt, wie es auch Dmitri Schostakowitsch im Schlusssatz seiner 15. und letzten Symphonie tat.

Jede Aufführung von „Der Kaiser von Atlantis“ muss sich mit der Frage auseinandersetzen, welche der möglichen Fassungen gespielt werden soll. Im Autograph sind manche Passagen sehr deutlich durchgestrichen und durch anderes ersetzt – entsprach dies Ullmanns künstlerischem Willen, musste er sich einer Zensur beugen, oder handelt es sich um Selbstzensur, um eine Aufführung unter den gegebenen Bedingungen möglich zu machen? Die Deutschlandlied-Groteske wurde von Ullmann selbst gestrichen, in Freiburg erklingt sie. Auch die Besetzung des Kammerorchesters (ein reichliches Dutzend Musiker) geht wohl auf die Situation bei der Entstehung des Werkes zurück. Es fehlt ein tiefes Holzblasinstrument, dafür gibt es ein Saxophon, ein Harmonium (hier Akkordeon) und eine Gitarre. Klaus Simon dirigiert dies alles überzeugend. Für die manchmal nicht einheitliche Klangbalance ist sicherlich auch die spezielle Komposition verantwortlich.

Beim Gesang muss Ullmann professionelle Stimmen zur Verfügung gehabt haben, die Rollen sind sehr anspruchsvoll. Der Trommler verkündet den „Krieg aller gegen aller“ mit in Halbtonschritten aufsteigenden Oktavsprüngen, möglicherweise eine Parodie der sich überschlagenden Stimmen Hitlers oder Goebbels‘. Der musikalische Ansatz, die kaum eine Stunde dauernde Oper durch Prolog und Epilog zu ergänzen, wird durch mehrere Lieder noch erweitert, die Viktor Ullmann in Theresienstadt schrieb. Die Stimmfächer sind hier also nur einzeln besetzt: Bubikopf (Sopran) mit Lena Kiepenheuer, die gerade am Anfang ein fast naives Timbre in die kurze Idylle einbringt und die man gerne auch einmal in Rollen wie Humperdincks Gänsemagd hören würde. Die sehr anspruchsvolle Partie des Trommlers (Mezzosopran) wurde Sibylle Fischer anvertraut, die bei den geforderten Sprüngen und schnellen Registerwechseln manchmal forcieren muss, aber in ruhigeren Momenten überzeugt. Die Tenorpartien des Harlekin und des Soldaten sind beide bei Keith Bernhard Stonum gut aufgehoben; die gewisse stimmliche Zurückhaltung (zum Beispiel im Duett mit Tod) kann in der akustisch nicht ganz günstigen Position auf dem Wachtturm oder in der Länge der Partie begründet sein. Als Kaiser Overall hört man den sonoren Bariton von Ekkehard Abele, der auch die Wutausbrüche des Potentaten glaubhaft umzusetzen weiß. Schließlich der Bass von Tod und Lautsprecher, den Nikolaus Meer im gesamten Umfang präsentieren kann. Wann hört man sonst ein tiefes Des(!) a capella als Fermate? Meer verfügt zudem über eine klare und eindringliche Sprechstimme, was ihm in der Partie des Lautsprechers zugutekommt.

Die Rollenwechsel der Sänger werden durch wenige Accessoires sinnfällig gemacht: Harlekin hat weiße Clownsschminke im Gesicht, die beim Wechsel zum Soldaten mit einem Handspiegel als Hilfsmittel entfernt und zum Ende hin wieder aufgetragen wird. Bubikopf hat eine Pistole, Tod eine Sonnenbrille. Wenn Tod zum Lautsprecher mutiert, legt er die Sonnenbrille ab und markiert mit Kleidungsstücken (Richtermütze, Arztkittel, …), welche Rolle gerade eingenommen wird.

Die Reduktion der Rollen auf fünf Solostimmen ermöglicht es also, im Verlauf des Stückes fünf Lieder einzufügen und auf die einzelnen Stimmen zu verteilen. Klaus Simon hat diese Lieder für Kammerensemble arrangiert, so dass sie sich in den musikalischen Rahmen einfügen. Auch dramaturgisch ist dieser Kunstgriff kein Gewaltakt, da Ullmanns 18 Nummern scharf kontrastierend nebeneinanderstehen und nicht durchkomponiert sind. Durch die Lieder wird das Stück länger, lyrischer. Das Original ist buchstäblich zerhackt und hat keine „schönen Stellen“, abgesehen vom Duett zwischen Bubikopf und Soldat. Auf einmal jedoch hören wir Wohlklang mit Harmonien und kleinen Idyllen im Cello wie im Vorspiel zum dritten Akt der Meistersinger von Nürnberg. Vielleicht hätte es Ullmann so gewollt, wenn er gekonnt hätte – vielleicht hat er auch die Schroffheit mit Absicht so komponiert, der nun die Kanten abgeschliffen werden. Die manchmal fast erratisch nebeneinanderstehenden Nummern machen das Einfügen leicht. Doch die Lieder tragen zur Charakteristik der Figuren nichts bei – oder sie schaffen eine bislang nicht vorhandene Charakteristik, etwa wenn Tod / der Lautsprecher das Lied „Betrunken“ vorträgt. Die Eigenheit des Lautsprechers ist doch eigentlich, dass er keine Individualität hat.

Dieses Vorgehen betrifft ein grundsätzliches Problem, das auch im Programmheft unter dem Stichwort „dramaturgisches Theater“ angesprochen wird: Ist es legitim, überlieferte Texte oder Partituren anzureichern, neu zu arrangieren? Der Ansatz des Regietheaters, einem Stück auf Augenhöhe zu begegnen, wird hier auf die musikalische Seite ausgeweitet. War es vor dem Ersten Weltkrieg beispielsweise üblich, die Musikdramen Richard Wagners in gekürzten Fassungen zu spielen, wäre dies heute dem Publikum wohl kaum vermittelbar. Die Hamburger Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ von Peter Konwitschny von 2002 setzte auf den Schock, den musikalischen Fluss bei der Schlussansprache von Hans Sachs zu unterbrechen. Am Opernhaus Zürich hatte soeben eine gekürzte Fassung von Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ Premiere, die für diese Eingriffe in die musikalische Substanz scharf kritisiert wurde. Wie ist das Anreichern bei „Der Kaiser von Atlantis“ zu bewerten? Angesichts der Überlieferungslage und der Tatsache, dass alles erhaltene Material nur ein Torso ist, ist dieses Unterfangen hier legitim, allerdings auch problembehaftet: Klaus Simon ist Experte für Lieder dieser Zeit – er hat eine Gesamteinspielung der Lieder Hans Pfitzners vorgelegt – und hat ein Gespür für die Lieder, die sich am besten in die Grundstimmung einfügen. Durch das Hinzunehmen der eher breit ausgesungenen Lieder geht aber das Kantatenhafte der Oper verloren. Eine verlängerte Oper ist auf jeden Fall besser als eine gekürzte Oper!

Das Publikum nahm diese erweiterte Fassung und die einerseits reduzierende, andererseits in einzelnen Augenblicken auch gekonnt zuspitzende Regie sehr freundlich auf. Ein Besuch ist unbedingt zu empfehlen.



Aus: „Badische Zeitung“ vom 15.10.2018

Alexander Dick: Beklemmend: "Der Kaiser von Atlantis" im Freiburger E-Werk

Mysterienspiel, episches Theater, szenisches Oratorium: Die Opera Factory zeigt im E-Werk Freiburg den beklemmenden Einakter "Der Kaiser von Atlantis", der im KZ Theresienstadt entstand.

Der Lichtkegel des Scheinwerfers auf dem Turmgerüst, das langsam von hinten in den Raum geschoben wird, strahlt gnadenlos in den Zuschauerraum. Reihe um Reihe, Block um Block greift er ab, und wenn man von ihm geblendet wird, bleibt einem nur, die Augen zu schließen im gleißenden Gegenlicht. Dem, der den Scheinwerfer bedient, ist man gnadenlos ausgeliefert. Sein Name ist Tod.

Der Abend der Opera Factory im Freiburger E-Werk beginnt szenisch mit einer ganz starken Optik. Regisseur Joachim Rathke stellt damit die Brücke zwischen Werk, Werkgeschichte und Gegenwart her. Denn Viktor Ullmanns Operneinakter "Der Kaiser von Atlantis" ist im KZ Theresienstadt entstanden, wo der Komponist mit mährischen Wurzeln seit 1942 von Nazis inhaftiert war. Uraufgeführt wurde die Oper erst Jahrzehnte später, 1975 in Amsterdam. Da war Ullmann schon über 30 Jahre tot, ermordet im KZ Auschwitz.

Dass die Leitung des so genannten "Vorzeigelagers" Theresienstadt eine Aufführung nach der Generalprobe untersagte, überrascht nicht. Peter Kiens Libretto ist eine unverhohlene Kritik an Machtmissbrauch, Menschenverachtung und Kriegswahn: ein Kaiser, der den "totalen Krieg" ausruft; der Tod, der sich dadurch verhöhnt fühlt und die Menschen nicht mehr sterben lässt; und ein versöhnliches Ende, das nur durch die Bereitschaft des Kaisers zu sterben möglich wird – das grenzte im Nazi-Deutschland von 1943 an "Volksverrat".

Für manche Zeitgenossen ist diese Zeit heute nur noch ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte – ihnen sei die Produktion der Opera Factory Freiburg dringend ans Herz gelegt. Man kann sie nicht einfach so konsumieren – allein das Wissen um das tragische Schicksal Ullmanns und Kiens sorgt für Beklemmung. Und das, obwohl die Musik über weite Strecken hinweg eher ironisch-groteske Züge trägt. Ullmann komponiert für ein Kammerensemble aus Streichern Holzbläsern, Saxophon, Trompete, Schlagwerk, Gitarre (oder Banjo), Harmonium (hier Akkordeon) und Klavier. Das ist der Salonorchesterklang der 1920er Jahre, und so finden sich melodisch, harmonisch und rhythmisch zahlreiche Parallelen zu Komponisten dieser Zeit wie Kurt Weill oder vor allem auch Eduard Künneke. Das zynische Couplet des Todes "Das waren Kriege" erinnert stark an dessen Faktur, und man fragt sich hier und bei anderen Passagen, die die Unterhaltungsmusik der Roaring Twenties imitieren, wie Ullmann unter den Lagerumständen zu solch scheinbar unbeschwerten Klängen finden konnte. Doch das Wesen dieser Kammeroper zeichnet sich auch durch starke Kontraste aus – hier Sprechfuge, da Menuett, dort barockisierendes Lamento ("Der Krieg ist aus").

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: "Der Kaiser von Atlantis" lässt sich als episches Theater begreifen. Ein Lautsprecher verkündet zu Beginn "eine Art Oper", und das gesamte Geschehen nimmt sich wie eine Mischung aus Brechts Bühne und Mysterienspiel aus. Joachim Rathke setzt es mit einfachen Mitteln in Szene: Der beschriebene Turm ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens (Bühne: Melanie Kintzinger), auf dem fünf Vokalsolisten über weite Strecken omnipräsent sind. Mysterienspiel, episches Theater, szenisches Oratorium: Die Regie spielt mit Elementen daraus, die Akteure wechseln auf offener Szene ihr Outfit oder ihre Kostüme (Rathke), und gerade die extremen Hell-Dunkel-Kontraste verstärken die Spannungsmomente.

Bei Klaus Simon und seiner Holst-Sinfonietta ist diese Disparatheit in besten Händen. Der Dirigent zeigt einmal mehr, wie nah ihm die vergessene und verfemte Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht; intim, sinnlich, warm die Streicher – stimmig, sonor die Holzbläser, die mit Saxophon, kleinem Schlagwerk und Akkordeon auch einen pulsierenden Fox oder Shimmy glaubhaft aufs Parkett legen können. Simons musikalischer Kunstgriff reicht aber auch ins Konzeptionelle. In das nicht einmal einstündige Werk implantiert er fünf Lieder Ullmanns aus früheren Jahren, vier davon selbst instrumentiert und so uraufgeführt. Mit seinen Orchestrationen fügt sich Simon bruchlos und stimmig in Ullmanns Klangwelt ein. Um den Abend hat Anno Schreier eine Art instrumentale Klammer komponiert – "Atlantis" als Prolog und Epilog. Die schreitende, sich durch Modulationen sehr langsam verändernde Instrumentalmusik verrät den Respekt des in Karlsruhe lehrenden Komponisten: eine intime, sehr dienende Annotation.

Last but not least – die Sänger: Ob Ekkehard Abeles lyrisch bis machtvoll dunkler Kaiser, Nikolaus Meers potenter Tod und Lautsprecher, Keith Bernard Stonums tenora-leichtgängiger Harlekin und Soldat, Sibylle Fischers elektrisierend mezzotimbrierter Trommler oder Lena Kiepenheuers hell und zart besaiteter, in der Höhe durchschlagender Bubikopf – das hat große Qualität und unterstreicht eines: Die Opera Factory beschert der Musikstadt Freiburg eine nicht mehr wegzudenkende Farbe



Aus: Opernglas 12/2018

Elisa Engler: „Eindrucksvoll“

Die Opera Factory Freiburg hat mit „Der Kaiser von Atlantis“ eine „Art Oper“ auf die Bühne gebracht, die Betroffenheit schaffen und neue dramaturgische Anschauungen ermöglichen soll.
Der ursprüngliche Kontext des Stücks von Viktor Ullmann wird in den Hintergrund gedrängt, die Inszenierung durch lyrische Ergänzungen zu einem neuartigen Musiktheater erweitert. Ein „Inszenierungskonzept“, welches allerdings nicht kunstgerecht gelingt. Das Stück ist sich seiner Existenz als solches bewußt, was die Nutzung des Zuschauerraums als erweiterter Bühne eher lästig, als denn dazu gehörig empfinden lässt. Das Bühnenbild von Melanie Kintzinger dagegen ist ebenso spannend wie einfallsreich; Phantasie und Vorstellungskraft werden in Anspruch genommen. Voraussetzungen, die ausgesprochen passend in einer Inszenierung von Ullmanns Werk sind, war doch sein Dasein und Schaffen durchzogen von diesen menschlichen Fähigkeiten. „Aushalten“ als Leitmotiv im Leben des Komponisten, als auch ins seinem Werk. Aushalten, bis die Toten sterben wollen und ein Ende des Kriegs in Sicht ist.
Die Bilder, die durch Beleuchtung (Georg Hallmann), Kostüme (Joachim Rathke) und Kulisse entstehen, sind eindrucksvoll, das ästhetische Konzept ist stimmig ausgearbeitet.
Auffallend gut ist Nikolaus Meer (Bass) als Tod und Erzählstimme. Auch das präzise und klanggenau musizierende Orchester der Holst- Sinfonietta unter der Leitung von Klaus Simon beeindruckt.


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