Aus "Orpheus" 1/2 2004

Herbert Henning

In der Inszenierung der Oper "Der Fliegende Holländer" verirren sich die Augen immer wieder zu Mary, die eigentlich auf Ruhe und Anstand bei den spinnenden Frauen bedacht sein soll. Aber so wenig wie die Frauen und Mädchen spinnen (sie drehen sich mit überdimensionalen Nadeln mit einem kreisrunden Tuch im Reigen), so wenig ist die blutrot gewandete Mary (Ulrike Schneider) in ihrer angstvollen Ahnung drohenden Unheils nur Nebenfigur. Man beobachtet an dieser Frau in vergangenen Jahren Erlebtes, wenn sie die Ballade der Senta lautlos mitspricht oder voller Angst und Misstrauen immer wieder auf das Bild des Holländers schaut, sich schmerzvoll an den Hals fasst, als schnüre die Erinnerung ihr die Luft ab. Hat diese Mary vor 7, 14 oder 21 Jahren der "Holländerfrist" dasselbe erlebt wie jetzt Senta? Dies ist eine der Fragen, die der junge Regisseur Joachim Rathke in seiner Inszenierung (bewusst?) offenlässt. Für ihn sind der Holländer und die im Matrosenkleidchen mit Eiswaffel und Gummibärchen sehnsuchtsvoll träumende Senta Außenseiter in einer Gesellschaft, die einen Schiffsjungen verprügelt, Mädchen ihre Puppen zerstören lässt und wo ein geschäftstüchtiger Vater seine Tochter für Geld an einen Fremden verschachert. Der Holländer als ein von der Ruhe- und Rastlosigkeit seiner Irrfahrten auch körperlich gezeichneter Mann und das sich zur Erlöserin aufschwingende Mädchen bilden eine Art Gegenwelt, in der mehr und mehr der Jäger Erik in seinem Drängen auf Einhaltung von Dalands Hochzeitsversprechen unliebsamer "Störenfried" wird. [...]
Der Beifall des Premierenpublikums war heftig.



Aus "Der Merseburger" 1/2004

Dieter Beer: Romantische Oper "Der Fliegende Holländer"

[...] Der zweite Akt geht nahtlos in den dritten über. Hier vor allem bietet die Inszenierung von Joachim Rathke überwältigende Bilder an. Vor allem wenn sich plötzlich im Geisterschiff gespenstische Gestalten zeigen, weswegen die Matrosen des Norwegerschiffes vor Angst die Flucht ergreifen [...].



Aus der "Schwäbischen Zeitung" vom 13.5.2004

Katharina von Glasenapp

In einer Produktion des Opernhauses Halle vom vergangenen Herbst war Wagners romantische Oper "Der fliegende Holländer" im Rahmen des Bodenseefestivals im Graf-Zeppelin-Haus zu Gast: eine mit sparsamen Mitteln beeindruckende Inszenierung, die im übrigen auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler der umliegenden Schulen begeisterte. [...]
In der Inszenierung von Joachim Rathke bleiben manche Klischees wie die vom ewig betrunkenen brutalen Matrosen oder von adrett gekleideten und hübsch bezopften BDM-Mädchen in der Spinnstube nicht aus, andererseits gibt er durchaus neue Anstöße. Der geldgierige, immer wieder am Flachmann hängende Daland, der seine Tochter für ein geheimnisvolles Schatzkästchen an den bleichen Fremden verschachert, erinnert in Maske und Kostüm an Richard Wagner selbst, der Holländer, schwarz gekleidet im alten Stil, irrt mit blassem Gesicht und langen Haaren seines Schicksals überdrüssig über die Meere. Erlöst wird er von Senta, die sich in kurzer Zeit vom verträumt am Lolli lutschenden Kind zur opferbereiten Persönlichkeit entwickelt.
Die auffallendste und doch rätselhafte Figur aber ist die Amme Mary, die in ihrem leuchtendroten Samtgewand aus einer anderen Zeit zu kommen scheint und ebenso intensiv mit dem Holländer verbunden ist wie Senta: Sie bleibt gleichsam verklärt zurück, nachdem Senta ihrem Holländer in das Bühnennebelmeer hinterher gesprungen ist. Eine Art Ur-Senta?



"Geisterschiff in Friedrichshafen"

Wolfgang Bager

Anders als die zahlreichen gesichts- und oft lieblosen Tournee-Produktionen stellten die Hallenser eine spannend inszenierte und ansprechend gesungene und musizierte Wagner-Oper auf die Bühne des Graf-Zeppelin-Hauses. Der Regie des gerade 36jährigen Joachim Rathke gelang es, mit wenigen Mitteln eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Ein paar Taue, etwas Wellblech und einige Tücher (Bühne: Claudia Doderer) genügten, zusammen mit einer ausgefeilten Lichttechnik (Matthias Hönig), das schicksalhafte Aufeinandertreffen des biederen norwegischen Kapitäns Daland mit dem gespenstischen Holländer in der Art von Murnaus großem klassischem Gruselkino in Szene zu setzen. [...]
Sehr schön gelöst von Joachim Rathke dann die Aufgabe des dritten Aktes. Das Ansingen der Matrosen gegen das Geisterschiff und Sentas letzter Gang zu den Klippen, dazu das Aufbäumen von Wagners musikalischem Finale, das war in seiner Wirkung kaum zu übertreffen und dürfte auch den erfreulich vielen Jugendlichen im Saal das Gänsehaut-Potenzial einer Wagner-Oper überzeugend demonstriert haben.

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