Aus "Die Deutsche Bühne", 19.9.2013

Georg Rudiger: "Schäferstündchen mit dem Maultiertreiber"

Am Ende des lockeren Finalquintetts von Maurice Ravels Einakter "L’ heure espagnole" (1907) ist auf der Bühne des Freiburger E-WERKs der Kuchen fertig. Und wird von Concepcion, der einzigen weiblichen Protagonistin, dem Publikum angeboten. Es ist der Mandelkuchen, der eigentlich im Libretto von Gustav Holsts Kurzoper "The Wandering Scholar" (1929/30) vorgesehen ist. Dort wird er von Alison in den Backofen geschoben, damit ihr nicht ganz unkeusches Zusammensein mit Father Philippe auch einen kulinarischen Höhepunkt hat. Es ist aber nicht nur der Kuchenduft, der bei der fulminanten Produktion der Freiburger Young Opera Company (Leitung: Klaus Simon) die beiden Opern miteinander verbindet. Auch inhaltlich gibt es einige Parallelen. In beiden Stücken geht die Ehefrau fremd. Beide enthalten viele komische Momente und groteske Zuspitzungen. Das so originelle wie schlüssige Inszenierungskonzept von Regisseur Joachim Rathke geht aber noch weiter, indem beide Opern als eine einzige, zusammenhängende Geschichte erzählt werden. Zuerst der Beginn von Holsts im ländlichen Südfrankreich spielender Kammeroper, dann – in einem Rückblick – Ravels Geschichte vom spanischen Uhrmacher Torquemada und seiner untreuen Gattin Concepcion, anschließend die Fortsetzung von "The Wandering Scholar" – und ganz am Ende Ravels Finalquintett, bei dem die Figuren aus ihren Rollen heraustreten und in einer süffigen Habanera das Geschehen ironisch kommentieren. Es sind hier also die gleichen Personen, die in den beiden Stücken vorkommen. Sie tragen nur unterschiedliche Namen und leicht variierte Kostüme. Nur Torquemada (mit flexiblem, hell timbriertem Tenor: Nando Zickgraf) hat kein stimmliches Pendant. Deshalb wird er kurzerhand von seiner Gattin um die Ecke gebracht und in die Küchenkommode gelegt, wo er zum Finalquintett nochmals mit dem ebenfalls dort versteckten Father Philippe/Don Inigo Gomez (herrlich schmierig, mit kernigem Bassbariton: Michael MacKinnon) wieder auftaucht. Die dazu erfundene Mordgeschichte ist die Klammer, die die beiden Opern geschickt zusammenhält.
Ausstatterin Heike Mondschein hat für die kleine Bühne des Freiburger E-Werks eine Küche gebaut – mit einem Herd und einem Kühlschrank, Messern und Uhren. Die sexy Hausfrau Alison/Concepcion, der Sibylle Fischer glasklare Linien und körperliche Präsenz verleiht, trägt Schürze und Gummihandschuhe. Überhaupt hat die Dame einen Putzfimmel. Ein Hinweis auf ihre dunkle Vergangenheit? Eine Küche mit echtem Kuchenduft und einer langsam vor sich hinköchelnden Fleischbrühe als Ort der Verführung, die scharfen Messer als Koch- und Mordwerkzeuge zugleich – das Setting funktioniert hervorragend in seiner Doppelbödigkeit. Auch akustisch hat die Küchenwand eine Funktion, macht sie doch die dahinter positionierte Holst-Sinfonietta noch ein wenig weicher und geschmeidiger im Klang. Sowohl Benjamin Brittens Kammerensemblefassung von Holsts Kurzoper (deutsche Erstaufführung) als auch Klaus Simons eigene Bearbeitung von Ravels groß besetzter Oper, die in Freiburg uraufgeführt wird, überzeugt an diesem humorvollen Musiktheaterabend. Die Mischung der Streicher im 16-köpfigen Instrumentalensemble gelingt bis auf wenige Ausnahmen hervorragend (besuchte Vorstellung: 14.9.13). Auch einzelne Instrumentalfarben wie Fagott oder Trompete kommen gut zur Geltung, ohne zu dominant zu werden. Dirigent Klaus Simon behält die Zügel in der Hand, lässt aber dem Solistenensemble genügend Freiheit, sich zu entfalten. Ewandro Stenzowski gibt den schmachtenden Dichter Gonzalve und den reisenden Schüler Pierre mit lyrischem Schmelz und einem bunten Blumenkranz auf der Halbglatze. Florian Rosskopp (Ramiro/Louis) ist ein viriler Macho mit rotem Anzug und Cowboystiefeln. Es sind echte Typen auf der Bühne, die um die Gunst der einzige Dame buhlen. Der Geruch der Stiefel, den Concepcion lüstern inhaliert, gibt schließlich den Ausschlag für Ramiro. Und dann geht’s mit dem Maultiertreiber zum Schäferstündchen.


Aus "Reutlinger Generalanzeiger", 11.10.2013

Martin Bernklau: "Ein ganz grotesker Spaß"

Das war nicht nur ein Opern-Doppelpack am Mittwochabend. Das war eine ganz große, ganz runde Sache im etwas kleineren Format. Die Freiburger Young Opera Company aus dem dortigen Kulturzentrum E-Werk trat als Gast der Musica Nova im franz.K auf, der Reutlinger Cross-over-Spielstätte. Die Oberbürgermeisterin war auch da, in ganz gut besetzten Reihen.
Eine Frau zwischen Sexsucht und Putzfimmel: Die Young Opera Company wusste mit »L’heure espagnole/The Wandering Scholar« trefflich zu unterhalten.
Ein stimmstarkes Komplett-Orchester von der Piccolo-Flöte über die Harfe bis zur Percussion-Batterie, die Holst-Sinfonie unter der Leitung von Company-Chef Klaus Simon, eine Sopranistin und vier Opernsänger traten mit zwei Kurzopern auf, die von den Freiburgern kess zu einer Opernkriminalgroteske verschmolzen wurden. Und zwar weil sie – in zwei Sprachen plus deutschen Obertiteln – einen praktisch gleichen Plot haben: Maurice Ravels »L’heure espagnole« und »The Wandering Scholar« des Briten Gustav Holst in der Kammerfassung von Benjamin Britten.
Es geht beide Male um eine Frau, die fremdgeht und mit zwei oder drei Liebhabern noch immer nicht genug hat. Sibylle Fischer gibt diese Concepcion/Alison zwischen Sexsucht, Suppe, Schweinefleisch und einem gewissen Putzfimmel in der von Heike Mondschein eingerichteten Küche als einen gerissenen Vamp und notgeiles Naivchen mit hinreißend lasziver, aber stets ganz genau geführter Stimme.
Nicht nur ihr, auch den Buffo-Männerstimmen von Nando Zickgraf und Michael Mackinnan wie ihren eher ins Ernstere gefärbten Partnern Ewandro Cruz-Stenzowski aus Brasilien und Florian Rosskopp, ist zuzutrauen, auch ein richtig großes Opernhaus klanglich zu füllen. Im kleinen franz.K fiel jedenfalls auf, dass sich alle sehr subtil aufeinander und auf das im Parkett postierte Orchester einlassen konnten – eine fast schon zärtliche Liebschaft.

Dramatik und drastische Komik

Die schlüssige Geschichte ist nicht immer so wichtig auf der Oper, wie man spätestens seit Mozart weiß. Auf die Zeichnung der Charaktere aber, auch auf die Kniffe von Dramatik und auch mal richtig drastische Komik kommt es an. Gerade deswegen sind auch die Regie von Joachim Rathke und das freche, fast schon dreiste dramaturgische Konzept von Cornelius Bauer einfach nur im hohen Ton zu loben. »Anything goes«, alles geht, wenn es denn geistreich ist und dazu noch über die Maßen unterhaltsam. Der genaue Gang der Story interessierte bald keinen mehr wirklich.
Und die Musik – diese ältere, aber in der Tonsprache trotz des Carmen-Tons modernere Diktion des gebürtigen Basken Maurice Ravel und der dezent zu keltischer Volkslied-Schlichtheit neigende Sound des Gustav Holst – war unter Klaus Simons Leitung vom Feinsten: präzise und plastisch, klangverliebt und dramatisch. Man hätte den 16 so mannschaftsdienliche Solisten umfassenden Klangkörper nicht gern in einem Orchestergraben versteckt gesehen.
Das ganz großartig gewagte, witzige und groteske Gesamtkunstwerk bekam verdient langen Applaus mit Steigerung für so einige Einzelleistungen.



Aus "Reutlinger Nachrichten", 11.10.2013

Otto Paul Burkhardt: "Mords-Musik, kriminell gut gespielt: Doppel-Oper von Ravel und Holst im franz.K"

Gabs jetzt eine oder zwei Leichen? Egal, bei dem Doppel-Opern-Thriller im franz.K mit Musik von Ravel und Holst umlagern vier Männer eine Frau. Liebeschaos turbulent! Wies war? Wir sagen: kriminell gut.

Zwei Opern nicht hintereinander, sondern ineinander verquickt - das hat man selten. So gesehen, ist dieser Doppelpack der Young Opera Company Freiburg (YOC), am Donnerstag zu Gast bei Musica Nova im franz.K, etwas Besonderes. YOC-Chef Klaus Simon hat zwei Einakter ineinander verwoben - Maurice Ravels "Lheure espagnole" (1911) und Gustav Holsts "The Wandering Scholar" (1934).
Und siehe da, es funktioniert. Die zusammengelegte Geschichte geht so: Mehrere Liebhaber scharen sich begehrlich um eine Frau, die sich mit ihrem Ehemann langweilt. Das kann heiter werden. Auch deshalb, weil Regisseur Joachim Rathke das Ganze in eine Küchenzeile verlegt (Ausstattung: Heike Mondschein), voll gestopft mit spitzen Geräten, die auch als Mordwerkzeuge taugen. So geht es scharf zur Sache: Die Frau und ihre diversen Möchtegern-Lover hantieren ständig mit gefährlichen Messern, Fleischgabeln und Hackebeilchen herum.
Das heißt: Viel Situationskomik. Denn während die Beteiligten flirten, schäkern und turteln, sind sie gleichzeitig eifrig damit beschäftigt, Steaks zu klopfen oder mit Filetierklingen herumzufuchteln. Liebe geht hier eben auch durch den Magen. Auch wenn diese Regieidee etwas überstrapaziert wird, agiert hier ein junges, internationales Ensemble mit Solisten, die auf dem Sprung zur Karriere sängerisch alles geben - und dabei auch schauspielerisch ziemlich verrückte Typen verkörpern. Sibylle Fischer ist als schrille Hausfrau (Conception/Alison) in giftgrünen Gummihandschuhen vollauf damit beschäftigt, ihre Liebhaber zu verstecken - mit schönem, biegsamem Sopran. Der Kanadier Michael MacKinnon (Don Inigo/Philippe Father) gibt einen herrlich schrägen Priester in scharfen Freizeit-Shorts - ein toller, temperamentvoller Buffo-Bassbariton. Ähnlich abgefahren agiert der Brasilianer Ewandro Stenzowski (Gonzalve/Pierre) - etwa als stimmkräftiger Heldentenor, der mit seinen poetischen Ergüssen ("O gebieterische Liebste!") fast allen Beteiligten auf den Zeiger geht. Florian Rosskopp wiederum (Ramiro/Louis) gibt einen baritonal robusten Muskelprotz im roten Strizzi-Anzug, und Nando Zickgraf (nur bei Ravel dabei) verleiht seinem Torquemada einen hellen, lebendigen Tenor.
Und erst das Orchester! Die 16-köpfige Holst Sinfonietta unter der schwungvollen Leitung von Klaus Simon besorgt den Soundtrack zum turbulenten Geschehen - swingt tänzerisch durch die 6/8-Folklore von Gustav Holst und bringt Maurice Ravels raffiniert spanisch parfümierte Partitur zum Blühen und Schwelgen: mit gespenstischen Tickgeräuschen (zwecks Uhrwerkstatt-Atmosphäre) und mit wunderbar aufrauschendem, sinnlichem Habanera-Kolorit. Kurz: eine charmante Doppel-Oper mit sensationellem Schluss-Quintett. Rasant inszeniert, phantastisch musiziert. Hin und wieder knisterts - kriminell und erotisch. Ein Mords-Spaß.



Aus "Stuttgarter Nachrichten", 11.10.2013

Susanne Benda "Man liebt nur zweimal"

Intelligent und amüsant: Opern-Einakter von Holst und Ravel bei der „Musica nova“ in Reutlingen

Ein Liebhaber in der Standuhr? Klar, den kennen wir: In Johann Strauß’ Operette "Die Fledermaus" versteckt die Dame des Hauses dort einen singenden Tenor. Für eine Steigerung sorgte Maurice Ravel 1911 in seinem Opern-Einakter "Die spanische Stunde" ("L’heure espagnole"). Hier stecken gleich zwei singende Liebhaber in zwei Standuhren, und der dritte Bett-Kandidat siegt nur deshalb, weil er die Kraft hat, seine Konkurrenten mitsamt ihren massiven tickenden Umhüllungen treppauf und wieder treppab zu tragen. Was für ein Muskel-Mann!
Das Publikum mochte das anzügliche, mit spanischen Anklängen durchsetzte Stück erst nicht, Kritiker schrieben böse von musikalischer Pornografie, aber im Reutlinger Kulturzentrum Franz K. wurde am Mittwochabend zum Auftakt der Reihe "Musica nova" die Aufführung des Stücks durch die Young Opera Company Freiburg einhellig und lange bejubelt.
Gelungen ist dort tatsächlich nicht nur eine launige Inszenierung mit exzellenten Solisten und einem präzise und farbig spielenden Instrumentalensemble (Holst-Sinfonietta), sondern ein kleiner Theatercoup. Der Regisseur Joachim Rathke und seine Ausstatterin Heike Mondschein haben Ravels Stück mit dem thematisch verwandten, skurrilen und kaum bekannten Einakter "The Wandering Scholar" verzahnt, den der Engländer Gustav Holst 1929/30 komponierte. Zwar spürt man, auch wenn der Dirigent Klaus Simon in seiner Kammermusikfassung von "Die spanische Stunde" Ravels Instrumentarium demjenigen seines englischen Kollegen annäherte, die stilistischen Brüche zwischen den ineinander geschnittenen Blöcken, zwar hört man deutlich den Kontrast zwischen dem ironisch aufgerauten exotischen Kolorit hier und der schlichten Sanglichkeit dort, dem Zuviel an Farben bei Ravel und der auf wenige charakterisierende Striche beschränkten Reduktion bei Holst. Aber gerade diese Reibung lässt die Eigenart der beiden Stücke deutlich aufscheinen und erhöht zudem die Absurdität dessen, was hier in der Summe als "Opern-Kriminalgroteske" bezeichnet wird.
Zwei Leichen in der Truhe, Fleischeslust und lauter Liebhaber in der Einbauküche, Gesellschaftskritik und Parodie, zwei singende Standuhren: Man amüsiert sich auf intelligente Weise. Man lauscht den nicht nur sehr guten, sondern auch ausgesprochen spielfreudigen Sängern (Ewandro Stenzowski, Nando Zickgraf, Michael MacKinnon, Florian Rosskopp, Sibylle Fischer), man ist überrascht vom hoch professionellen Niveau der Aufführung, und nach dem Habanera-Schlussquintett Ravels am Ende hat man nur eine ganz mächtig vermisst: Die Provinz muss an diesem Abend gerade irgendwo anders gewesen sein.



Aus „Schwäbisches Tagblatt Tübingen“, 11.10.2013

[tim]: „Aus zwei mach eins“

Der spanische Student: Einakter von Ravel und Holst im franz. K

Die Young Opera Company Freiburg begnügte sich am Mittwochabend bei ihrem Gastspiel im Reutlinger franz.K nicht damit, zwei Operneinakter zu einer abendfüllenden Vorstellung lediglich aneinanderzuhängen. Joachim Rathke (Regie) und Heike Mondschein (Ausstattung), jüngst mit ihrer "Götterdämmerung" in Leipzig sehr erfolgreich, hatten in Maurice Ravels "L'heure espagnole" (1911) und Gustav Holsts "The Wandering Scholar" (1934) Gemeinsamkeiten genug in Personal und Konstellation entdeckt, um sie zu e i n e r Oper zu verschmelzen.
Der Ravel-Einakter fungiert dabei als Binnenerzählung innerhalb des "Wandernden Studenten", der hier als Fortsetzung der "Spanischen Stunde" verstanden wird: Nach der Beseitigung des braven Uhrmachers leben dessen Frau Concepcion und Ramiro als Alison und .Louis in der Holstschen Fremde, wo sie von der Vergangenheit eingeholt werden. Wenn jedem Charakter eine eigene Uhr und Stunde auf der Bühne schlägt, wenn der Liebhaber mit dem gleichen Griff zur Flasche auftritt wie der Ehemann, Don Inigo als Kuckuck aus der Uhr 'lugt, in der er sich versteckt, und der Dichter seinem Lorbeerkranz hinterherläuft, dann sind dies nur wenige Beispiele für ein wahres Füllhorn szenischer Einfälle.

Solisten überzeugten Bedenkenträger

Die Solisten agierten mit einer solchen Verve, dass alle Restbedenken gegen das gewagte Regiekonzept einfach hinweggespielt wurden. Sibylle Fischer (Concepcion/ Alison) überzeugte durch ihre starke Bühnenpräsenz, während Florian Rosskopp mit seinem schönen Bariton ein wunderbarer Ramiro/ Louis war. Ewandro Stenzowski brillierte mit der Arie des Gonzalve ebenso wie mit der im Parlando vorgetragenen Studentenklage, seinen "Seneca für Feuerholz, Ovid für Essen“ verkauft zu haben. Michael MacKinnon zeigte seine große komödiantische Begabung, und Nando Zickgraf war ein sehr glaubhafter Torquemada.
Die fabelhafte Holst-Sinfonietta unter der Leitung von Klaus Simon zeigte sich stets dem angesichts. der überschäumenden Spielfreude der Gesangssolisten enormen Ravelschen Anspruch gewachsen, die Musik den eigentlichen Träger der Komik sein zu lassen.
Das 16-köpfige Freiburger Kammerorchester spielte Holst in der Bearbeitung von Benjamin Britten, Ravel in einer neuen und an- sprechenden Fassung des Dirigenten. Dabei geht es Klaus Simon nicht um eine Reduktion, sondern um eine Übersetzung der Ravelschen Komplexität, wenn etwa ein Akkordeon als ungemein dezent eingesetzter Klangfarbenspender in das klassische Instrumentarium integriert wird. Ein herausragender Abend, der begeisterten Applaus im franz.K hervorrief.


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