Am Ende des lockeren Finalquintetts von Maurice Ravels
Einakter "L’ heure espagnole" (1907) ist auf der Bühne des Freiburger
E-WERKs der Kuchen fertig. Und wird von Concepcion, der einzigen
weiblichen Protagonistin, dem Publikum angeboten. Es ist der
Mandelkuchen, der eigentlich im Libretto von Gustav Holsts Kurzoper
"The Wandering Scholar" (1929/30) vorgesehen ist. Dort wird er von
Alison in den Backofen geschoben, damit ihr nicht ganz unkeusches
Zusammensein mit Father Philippe auch einen kulinarischen Höhepunkt
hat. Es ist aber nicht nur der Kuchenduft, der bei der fulminanten
Produktion der Freiburger Young Opera Company (Leitung: Klaus Simon)
die beiden Opern miteinander verbindet. Auch inhaltlich gibt es einige
Parallelen. In beiden Stücken geht die Ehefrau fremd. Beide enthalten
viele komische Momente und groteske Zuspitzungen. Das so originelle wie
schlüssige Inszenierungskonzept von Regisseur Joachim Rathke geht aber
noch weiter, indem beide Opern als eine einzige, zusammenhängende
Geschichte erzählt werden. Zuerst der Beginn von Holsts im ländlichen
Südfrankreich spielender Kammeroper, dann – in einem Rückblick – Ravels
Geschichte vom spanischen Uhrmacher Torquemada und seiner untreuen
Gattin Concepcion, anschließend die Fortsetzung von "The Wandering
Scholar" – und ganz am Ende Ravels Finalquintett, bei dem die Figuren
aus ihren Rollen heraustreten und in einer süffigen Habanera das
Geschehen ironisch kommentieren. Es sind hier also die gleichen
Personen, die in den beiden Stücken vorkommen. Sie tragen nur
unterschiedliche Namen und leicht variierte Kostüme. Nur Torquemada
(mit flexiblem, hell timbriertem Tenor: Nando Zickgraf) hat kein
stimmliches Pendant. Deshalb wird er kurzerhand von seiner Gattin um
die Ecke gebracht und in die Küchenkommode gelegt, wo er zum
Finalquintett nochmals mit dem ebenfalls dort versteckten Father
Philippe/Don Inigo Gomez (herrlich schmierig, mit kernigem Bassbariton:
Michael MacKinnon) wieder auftaucht. Die dazu erfundene Mordgeschichte
ist die Klammer, die die beiden Opern geschickt zusammenhält.
Ausstatterin Heike Mondschein hat für die kleine Bühne des Freiburger
E-Werks eine Küche gebaut – mit einem Herd und einem Kühlschrank,
Messern und Uhren. Die sexy Hausfrau Alison/Concepcion, der Sibylle
Fischer glasklare Linien und körperliche Präsenz verleiht, trägt
Schürze und Gummihandschuhe. Überhaupt hat die Dame einen Putzfimmel.
Ein Hinweis auf ihre dunkle Vergangenheit? Eine Küche mit echtem
Kuchenduft und einer langsam vor sich hinköchelnden Fleischbrühe als
Ort der Verführung, die scharfen Messer als Koch- und Mordwerkzeuge
zugleich – das Setting funktioniert hervorragend in seiner
Doppelbödigkeit. Auch akustisch hat die Küchenwand eine Funktion, macht
sie doch die dahinter positionierte Holst-Sinfonietta noch ein wenig
weicher und geschmeidiger im Klang. Sowohl Benjamin Brittens
Kammerensemblefassung von Holsts Kurzoper (deutsche Erstaufführung) als
auch Klaus Simons eigene Bearbeitung von Ravels groß besetzter Oper,
die in Freiburg uraufgeführt wird, überzeugt an diesem humorvollen
Musiktheaterabend. Die Mischung der Streicher im 16-köpfigen
Instrumentalensemble gelingt bis auf wenige Ausnahmen hervorragend
(besuchte Vorstellung: 14.9.13). Auch einzelne Instrumentalfarben wie
Fagott oder Trompete kommen gut zur Geltung, ohne zu dominant zu
werden. Dirigent Klaus Simon behält die Zügel in der Hand, lässt aber
dem Solistenensemble genügend Freiheit, sich zu entfalten. Ewandro
Stenzowski gibt den schmachtenden Dichter Gonzalve und den reisenden
Schüler Pierre mit lyrischem Schmelz und einem bunten Blumenkranz auf
der Halbglatze. Florian Rosskopp (Ramiro/Louis) ist ein viriler Macho
mit rotem Anzug und Cowboystiefeln. Es sind echte Typen auf der Bühne,
die um die Gunst der einzige Dame buhlen. Der Geruch der Stiefel, den
Concepcion lüstern inhaliert, gibt schließlich den Ausschlag für
Ramiro. Und dann geht’s mit dem Maultiertreiber zum Schäferstündchen.
Das war nicht nur ein Opern-Doppelpack am Mittwochabend. Das
war eine ganz große, ganz runde Sache im etwas kleineren Format. Die
Freiburger Young Opera Company aus dem dortigen Kulturzentrum E-Werk
trat als Gast der Musica Nova im franz.K auf, der Reutlinger
Cross-over-Spielstätte. Die Oberbürgermeisterin war auch da, in ganz
gut besetzten Reihen.
Eine Frau zwischen Sexsucht und Putzfimmel: Die Young Opera Company
wusste mit »L’heure espagnole/The Wandering Scholar« trefflich zu
unterhalten.
Ein stimmstarkes Komplett-Orchester von der Piccolo-Flöte über die
Harfe bis zur Percussion-Batterie, die Holst-Sinfonie unter der Leitung
von Company-Chef Klaus Simon, eine Sopranistin und vier Opernsänger
traten mit zwei Kurzopern auf, die von den Freiburgern kess zu einer
Opernkriminalgroteske verschmolzen wurden. Und zwar weil sie – in zwei
Sprachen plus deutschen Obertiteln – einen praktisch gleichen Plot
haben: Maurice Ravels »L’heure espagnole« und »The Wandering Scholar«
des Briten Gustav Holst in der Kammerfassung von Benjamin Britten.
Es geht beide Male um eine Frau, die fremdgeht und mit zwei oder drei
Liebhabern noch immer nicht genug hat. Sibylle Fischer gibt diese
Concepcion/Alison zwischen Sexsucht, Suppe, Schweinefleisch und einem
gewissen Putzfimmel in der von Heike Mondschein eingerichteten Küche
als einen gerissenen Vamp und notgeiles Naivchen mit hinreißend
lasziver, aber stets ganz genau geführter Stimme.
Nicht nur ihr, auch den Buffo-Männerstimmen von Nando Zickgraf und
Michael Mackinnan wie ihren eher ins Ernstere gefärbten Partnern
Ewandro Cruz-Stenzowski aus Brasilien und Florian Rosskopp, ist
zuzutrauen, auch ein richtig großes Opernhaus klanglich zu füllen. Im
kleinen franz.K fiel jedenfalls auf, dass sich alle sehr subtil
aufeinander und auf das im Parkett postierte Orchester einlassen
konnten – eine fast schon zärtliche Liebschaft.
Dramatik und drastische Komik
Die schlüssige Geschichte ist nicht immer so wichtig auf der Oper, wie
man spätestens seit Mozart weiß. Auf die Zeichnung der Charaktere
aber, auch auf die Kniffe von Dramatik und auch mal richtig drastische
Komik kommt es an. Gerade deswegen sind auch die Regie von Joachim
Rathke und das freche, fast schon dreiste dramaturgische Konzept von
Cornelius Bauer einfach nur im hohen Ton zu loben. »Anything goes«,
alles geht, wenn es denn geistreich ist und dazu noch über die Maßen
unterhaltsam. Der genaue Gang der Story interessierte bald keinen mehr
wirklich.
Und die Musik – diese ältere, aber in der Tonsprache trotz des
Carmen-Tons modernere Diktion des gebürtigen Basken Maurice Ravel und
der dezent zu keltischer Volkslied-Schlichtheit neigende Sound des
Gustav Holst – war unter Klaus Simons Leitung vom Feinsten: präzise
und plastisch, klangverliebt und dramatisch. Man hätte den 16 so
mannschaftsdienliche Solisten umfassenden Klangkörper nicht gern in
einem Orchestergraben versteckt gesehen.
Das ganz großartig gewagte, witzige und groteske Gesamtkunstwerk bekam
verdient langen Applaus mit Steigerung für so einige Einzelleistungen.
Zwei Opern nicht hintereinander, sondern ineinander verquickt
- das hat man selten. So gesehen, ist dieser Doppelpack der Young Opera
Company Freiburg (YOC), am Donnerstag zu Gast bei Musica Nova im
franz.K, etwas Besonderes. YOC-Chef Klaus Simon hat zwei Einakter
ineinander verwoben - Maurice Ravels "Lheure espagnole" (1911) und
Gustav Holsts "The Wandering Scholar" (1934).
Und siehe da, es funktioniert. Die zusammengelegte Geschichte geht so:
Mehrere Liebhaber scharen sich begehrlich um eine Frau, die sich mit
ihrem Ehemann langweilt. Das kann heiter werden. Auch deshalb, weil
Regisseur Joachim Rathke das Ganze in eine Küchenzeile verlegt
(Ausstattung: Heike Mondschein), voll gestopft mit spitzen Geräten, die
auch als Mordwerkzeuge taugen. So geht es scharf zur Sache: Die Frau
und ihre diversen Möchtegern-Lover hantieren ständig mit gefährlichen
Messern, Fleischgabeln und Hackebeilchen herum.
Das heißt: Viel Situationskomik. Denn während die Beteiligten flirten,
schäkern und turteln, sind sie gleichzeitig eifrig damit beschäftigt,
Steaks zu klopfen oder mit Filetierklingen herumzufuchteln. Liebe geht
hier eben auch durch den Magen. Auch wenn diese Regieidee etwas
überstrapaziert wird, agiert hier ein junges, internationales Ensemble
mit Solisten, die auf dem Sprung zur Karriere sängerisch alles geben -
und dabei auch schauspielerisch ziemlich verrückte Typen verkörpern.
Sibylle Fischer ist als schrille Hausfrau (Conception/Alison) in
giftgrünen Gummihandschuhen vollauf damit beschäftigt, ihre Liebhaber
zu verstecken - mit schönem, biegsamem Sopran. Der Kanadier Michael
MacKinnon (Don Inigo/Philippe Father) gibt einen herrlich schrägen
Priester in scharfen Freizeit-Shorts - ein toller, temperamentvoller
Buffo-Bassbariton. Ähnlich abgefahren agiert der Brasilianer Ewandro
Stenzowski (Gonzalve/Pierre) - etwa als stimmkräftiger Heldentenor, der
mit seinen poetischen Ergüssen ("O gebieterische Liebste!") fast allen
Beteiligten auf den Zeiger geht. Florian Rosskopp wiederum
(Ramiro/Louis) gibt einen baritonal robusten Muskelprotz im roten
Strizzi-Anzug, und Nando Zickgraf (nur bei Ravel dabei) verleiht seinem
Torquemada einen hellen, lebendigen Tenor.
Und erst das Orchester! Die 16-köpfige Holst Sinfonietta unter der
schwungvollen Leitung von Klaus Simon besorgt den Soundtrack zum
turbulenten Geschehen - swingt tänzerisch durch die 6/8-Folklore von
Gustav Holst und bringt Maurice Ravels raffiniert spanisch parfümierte
Partitur zum Blühen und Schwelgen: mit gespenstischen Tickgeräuschen
(zwecks Uhrwerkstatt-Atmosphäre) und mit wunderbar aufrauschendem,
sinnlichem Habanera-Kolorit. Kurz: eine charmante Doppel-Oper mit
sensationellem Schluss-Quintett. Rasant inszeniert, phantastisch
musiziert. Hin und wieder knisterts - kriminell und erotisch. Ein
Mords-Spaß.
Ein Liebhaber in der Standuhr? Klar, den kennen wir: In Johann
Strauß’ Operette "Die Fledermaus" versteckt die Dame des Hauses dort
einen singenden Tenor. Für eine Steigerung sorgte Maurice Ravel 1911
in seinem Opern-Einakter "Die spanische Stunde" ("L’heure espagnole").
Hier stecken gleich zwei singende Liebhaber in zwei Standuhren, und der
dritte Bett-Kandidat siegt nur deshalb, weil er die Kraft hat, seine
Konkurrenten mitsamt ihren massiven tickenden Umhüllungen treppauf und
wieder treppab zu tragen. Was für ein Muskel-Mann!
Das Publikum mochte das anzügliche, mit spanischen Anklängen
durchsetzte Stück erst nicht, Kritiker schrieben böse von
musikalischer Pornografie, aber im Reutlinger Kulturzentrum Franz K.
wurde am Mittwochabend zum Auftakt der Reihe "Musica nova" die
Aufführung des Stücks durch die Young Opera Company Freiburg
einhellig und lange bejubelt.
Gelungen ist dort tatsächlich nicht nur eine launige Inszenierung mit
exzellenten Solisten und einem präzise und farbig spielenden
Instrumentalensemble (Holst-Sinfonietta), sondern ein kleiner
Theatercoup. Der Regisseur Joachim Rathke und seine Ausstatterin Heike
Mondschein haben Ravels Stück mit dem thematisch verwandten, skurrilen
und kaum bekannten Einakter "The Wandering Scholar" verzahnt, den der
Engländer Gustav Holst 1929/30 komponierte. Zwar spürt man, auch
wenn der Dirigent Klaus Simon in seiner Kammermusikfassung von "Die
spanische Stunde" Ravels Instrumentarium demjenigen seines englischen
Kollegen annäherte, die stilistischen Brüche zwischen den ineinander
geschnittenen Blöcken, zwar hört man deutlich den Kontrast zwischen
dem ironisch aufgerauten exotischen Kolorit hier und der schlichten
Sanglichkeit dort, dem Zuviel an Farben bei Ravel und der auf wenige
charakterisierende Striche beschränkten Reduktion bei Holst. Aber
gerade diese Reibung lässt die Eigenart der beiden Stücke deutlich
aufscheinen und erhöht zudem die Absurdität dessen, was hier in der
Summe als "Opern-Kriminalgroteske" bezeichnet wird.
Zwei Leichen in der Truhe, Fleischeslust und lauter Liebhaber in der
Einbauküche, Gesellschaftskritik und Parodie, zwei singende
Standuhren: Man amüsiert sich auf intelligente Weise. Man lauscht den
nicht nur sehr guten, sondern auch ausgesprochen spielfreudigen
Sängern (Ewandro Stenzowski, Nando Zickgraf, Michael MacKinnon,
Florian Rosskopp, Sibylle Fischer), man ist überrascht vom hoch
professionellen Niveau der Aufführung, und nach dem
Habanera-Schlussquintett Ravels am Ende hat man nur eine ganz mächtig
vermisst: Die Provinz muss an diesem Abend gerade irgendwo anders
gewesen sein.
Die Young Opera Company Freiburg begnügte sich am Mittwochabend bei
ihrem Gastspiel im Reutlinger franz.K nicht damit, zwei Operneinakter
zu einer abendfüllenden Vorstellung lediglich aneinanderzuhängen.
Joachim Rathke (Regie) und Heike Mondschein (Ausstattung), jüngst mit
ihrer "Götterdämmerung" in Leipzig sehr erfolgreich, hatten in
Maurice Ravels "L'heure espagnole" (1911) und Gustav Holsts "The
Wandering Scholar" (1934) Gemeinsamkeiten genug in Personal und
Konstellation entdeckt, um sie zu e i n e r Oper zu verschmelzen.
Der Ravel-Einakter fungiert dabei als Binnenerzählung innerhalb des
"Wandernden Studenten", der hier als Fortsetzung der "Spanischen
Stunde" verstanden wird: Nach der Beseitigung des braven Uhrmachers
leben dessen Frau Concepcion und Ramiro als Alison und .Louis in der
Holstschen Fremde, wo sie von der Vergangenheit eingeholt werden. Wenn
jedem Charakter eine eigene Uhr und Stunde auf der Bühne schlägt,
wenn der Liebhaber mit dem gleichen Griff zur Flasche auftritt wie der
Ehemann, Don Inigo als Kuckuck aus der Uhr 'lugt, in der er sich
versteckt, und der Dichter seinem Lorbeerkranz hinterherläuft, dann
sind dies nur wenige Beispiele für ein wahres Füllhorn szenischer
Einfälle.
Solisten überzeugten Bedenkenträger
Die Solisten agierten mit einer solchen Verve, dass alle Restbedenken
gegen das gewagte Regiekonzept einfach hinweggespielt wurden. Sibylle
Fischer (Concepcion/ Alison) überzeugte durch ihre starke
Bühnenpräsenz, während Florian Rosskopp mit seinem schönen Bariton
ein wunderbarer Ramiro/ Louis war. Ewandro Stenzowski brillierte mit
der Arie des Gonzalve ebenso wie mit der im Parlando vorgetragenen
Studentenklage, seinen "Seneca für Feuerholz, Ovid für Essen“ verkauft
zu haben. Michael MacKinnon zeigte seine große komödiantische Begabung,
und Nando Zickgraf war ein sehr glaubhafter Torquemada.
Die fabelhafte Holst-Sinfonietta unter der Leitung von Klaus Simon
zeigte sich stets dem angesichts. der überschäumenden Spielfreude der
Gesangssolisten enormen Ravelschen Anspruch gewachsen, die Musik den
eigentlichen Träger der Komik sein zu lassen.
Das 16-köpfige Freiburger Kammerorchester spielte Holst in der
Bearbeitung von Benjamin Britten, Ravel in einer neuen und an-
sprechenden Fassung des Dirigenten. Dabei geht es Klaus Simon nicht um
eine Reduktion, sondern um eine Übersetzung der Ravelschen
Komplexität, wenn etwa ein Akkordeon als ungemein dezent eingesetzter
Klangfarbenspender in das klassische Instrumentarium integriert wird.
Ein herausragender Abend, der begeisterten Applaus im franz.K
hervorrief.