Eigentlich geht das gar nicht: die „Götterdämmerung“, ohne
die Ressourcen eines großen Opernhauses privat organisiert. Aber wenn
Richard Wagner für etwas steht, dann dafür, Bedenken forsch beiseite
zu schieben und Visionen in die Wirklichkeit zu pressen. So haben es in
den letzten Jahren auch David Timm und seine Mitstreiter von der Wagner
Gesellschaft Leipzig 2013 gemacht.
Ursprünglich sollte ihre „Götterdämmerung“ im Paulinum über die
Bühne gehen. Doch weil das nicht fertig wurde, spielte die erste und
letzte Aufführung am Mittwochabend im Audimax der Universität. Und
das erweist sich wider Erwarten als geeigneter Ort – nicht nur, weil
das Gestühl bei einem rund sechsstündigen Opernabend in
Komfort-Fragen den Kampf mit Bayreuth aufnehmen kann.
Der Raum sorgt dafür, dass vieles anders ist als gewohnt: Das
Orchester sitzt hinter der Bühne, die sich sehr breit und nicht sehr
tief als Podest zwischen ihm und dem Publikum erhebt. Den Kontakt zu
den Sängern hält Timm über Bildschirme, was zumindest in den
vorderen Reihen für eine recht ausgewogene dynamische Balance zwischen
Sängern und Orchester sorgt. Hinten wird’s schwierig, wenn Timm es
krachen lässt. Aber das verträgt er, der Wagner. Wie überhaupt seine
„Götterdämmerung“ diese Form des Zugriffs bestens verträgt.
Auf minimalistischer Bühne schließt Rathke das Personal der letzten
Ring-Oper mit dem Wagner-Clan von Richard bis heute kurz. Was oft gut
funktioniert: Die Wagner-(Halb-)Schwestern Katharina, Nike und Eva sind
im dritten Aufzug die Rheintöchter, Gunther, der lethargische
Gibichungen-König, läuft als Hausfotograf des Wagner-Clans wie
bestellt und nicht abgeholt durchs Bild. Manchmal geht es nicht so gut
auf. Was der Inszenierung keinen Abbruch tut. Weil Rathke auf sparsam
möblierter Bühne (Heike Mondschein) und in Oliver Viehwegs nicht
durchweg vorteilhaften Kostümen neben der Geschichte der Wagners auch
Wagners Geschichte nicht aus den Augen verliert und so nicht zu Pathos,
aber zu szenischer Spannung findet.
Die Sensation des Abends indes sieht man nicht, man hört sie. Die
„Götterdämmerung“ ist für alle Beteiligten schwer, richtig schwer.
Auch in großen Opernhäusern sind da oft Dinge zu hören, die man
lieber nicht hörte. Und hier tritt selbstbewusst ein Ensemble auf, das
zum großen Teil auf Rollen-Debütanten setzt.
Etwa auf Fritz Feilhaber, in Weimar geboren, unter anderem in Leipzig
ausgebildet, nun mit seinem ersten Siegfried zu erleben. Und der
beeindruckt rundum. Feilhabers Tenor klingt leicht, ist aber
durchsetzungsfähig, bewahrt sich lyrischen Schmelz und hat doch die
Kraft, sich in dieser Helden-Partie zu behaupten. Kurz bevor Hagen ihn
meuchelt, zeigt er in der Erinnerungs-Szene, wie anstrengend und
umfänglich sie ist. Aber wer zeigt das nicht? Feilhaber sollte noch
nicht ständig Siegfried singen, aber er kann ihn singen. Und zwar gut
– und schön. Bert Mario Temme braucht ein wenig, um als Gunther in
Fahrt zu kommen, aber nach und nach rastet auch sein Organ ein. Selbst
kleinere Partien werden groß, übernimmt man, wie Carolin Masur, gleich
drei davon (Waltraute, Zweite Norn, Wellgunde). Katharina Timm und
Sonja Westermann sind jeweils als Norn und Rheintochter unterwegs, und
ihnen gelingen einzeln wie im Ensemble ausgesprochen schöne Momente.
Zwei Partien sind mit gestandenen Wagner-Sängern besetzt: Nimmt sich
Sabine Paßow als Brünnhilde ein wenig zurück, gelingen berührende
Momente des Erkennens, der Verstörung, der Verzweiflung. Und Stephan
Klemm, im aktuellen „Rheingold“ an der Oper Leipzig als Fasolt ein
Naturereignis, ist auch als Hagen fabelhaft. Stimmlich wie
darstellerisch. Klemm gibt sich nicht damit zufrieden, einen Bösewicht
auf die Bühne zu wuchten. Er zeichnet einen vielschichtigen Charakter,
satt tönend, voller Nuancen zwischen metallischer Härte und
trügerischem Charme.
Es liegt in der Natur der Sache, wenn eine bunt zusammengewürfelte
Capella telefonica, wie das mächtig gewaltig aufgeblasene
Mendelssohn-Orchester sich eine solche Partitur vornimmt, manches nur
mit Kraft funktioniert. Aber da der klug disponierende Timm am Pult die
Chose gut beisammen hält und auch im Tumult noch um Differenzierung
bemüht ist, geht auch das in Ordnung. Manche Register, die hier mit
Studenten besetzt sind, bringen auch Profis an den Rand der
Verzweiflung, wie unlängst im Gewandhaus zu begutachten. Es bedarf
also nicht der wohlwollenden Relativierung, um dieser Orchesterleistung
mit Lust und Begeisterung zu folgen. Einzig der Universitätschor
agiert oft jenseits seiner dynamischen Grenzen. Geschenkt.
Timm bringt das alles am Pult zu einer auf Fluss und Entwicklung
bauenden hochdramatischen, aber nicht verfetteten Interpretation
zusammen, die es sehr bedauerlich erscheinen lässt, dass aus dem Plan
nichts wurde, den gesamten „Ring“ zu produzieren. Doch sollte man
niemals „nie“ sagen. Eigentlich geht eine solche „Götterdämmerung“ ja
auch nicht.
Weil das Paulinum nach vier Jahren Bauverzug noch immer nicht
fertig ist, rückte Universitätsmusikdirektor David Timm in den Hörsaal
ein. (Und die protestierenden Studenten gingen mal zur Vorlesung ins
Opernhaus.) Geboten wurde nicht Power Point Präsentation und
Experiment, sondern ein Orchester in Opernhausstärke und eine
interessante, schlüssige Inszenierung.
Zum Richard-Wagner-Geburtstag gibt es Mittwochabend die Premiere und –
bisher – einzige Aufführung. Montag war öffentliche Generalprobe, bei
der zu Beginn Regisseur Joachim Rathke auf die Bühne musste, weil die
Hauptsicherung zunächst das Bühnenlicht blockierte. Was dann kam, war
premierenreif. Und repertoiretauglich.
Geburtstagsparty im Familienkreis
Kinder tummeln sich auf der Bühne, man fasst schon mal an die
Geburtstagstorte und leckt den Finger ab. Ein Teddybär, auch ein Symbol
des 20. Jahrhunderts, wird in allen Zeiten immer mal wieder zum
Trostspender. Und weil die Familie beschließt, die „Götterdämmmerung“
als Geburtstagsspiel aufzuführen, werden Rollen verteilt, Requisiten
gereicht, das Schaukelpferd wird zu Grane und Brünnhilde feixt, wenn
sie den Tisch der guten Stube als Thron besteigt.
1873, 1913, 1943, 2013 sind die Signaturen des Vorspiels und der drei
Aufzüge. Richard Wagners 60. Geburtstag wird in Familie gefeiert, dazu
reichen sich die Erben-Generationen den Schatz weiter: den goldenen
Ring. Der zum Feuerzeug wird. Akteure sind Richard Wagners Erben. Die
Weltesche wächst mit, als Grünpflanze im Topf. Und, hörsaalkonform,
wird der Stammbaum trickreich an die Wand geworfen.
Bayreuths Studiobühne hatte vor Jahren die Idee, im beliebten
Bretterbuden-Sommerquartier in der Steingraeber-Pianofabrik die
Richard-Wagner-Werk-und-Familiengeschichte aus Sicht der Kinder
erzählen zu lassen, auf dem Dachboden der Villa Wahnfried, in der
gerade Adolf Hitler zu Gast war. Wagner-Inszenierungen als Museum für
Deutsche Geschichte anzulegen, hat Stefan Herheim u. a. in Berlin und
Bayreuth probiert. Es in der Familie Wagner götterdämmern zu lassen,
ist ein originärer neuer und Leipziger Einfall.
Hörsaal-Theater
Regisseur Joachim Rathke und Ausstatterin Heike Mondschein scheuten
nicht Ideen, Handlungsfäden, komplett ausgearbeitete Kostüme und –
sofort prüfbare – Fotoporträt-Ähnlichkeiten. Bernd Erich Gengelbach,
euro-scene Leipzig-erprobt, hat Bühne und Beleuchtung eingebaut und
sagt zurecht: „Das ist ein richtig schönes Theater geworden.“ Das
Orchester spielt hinter der Bühne, unter dem Sichtfeld, eine kaum
meterhohe Wand trennt auch die Akustik. Ganz hinten an der Rückwand und
fürs Publikum sichtbar steht Dirigent David Timm.
Ihn im Sichtfeld zu haben, mit überaus geordneter Schlagtechnik und
Text im Mund, hat den Reiz, das auch Töne für den Hörer vorbereitet
werden.
Zum dritten Aufzug strömt der 50-Personen-Chor über die Hörsaaltreppen
zur Bühne mit großen Party-Luftballons, rechnerisch richtig steht die
Zahl „2013“ in der Luft. Dann muss schon mal ein Siegfried-Darsteller
quasi aus dem Publikum geholt werden. Und man erkennt in den
Rheintöchtern unschwer die Damen Nike Wagner, Eva Wagner-Pasquier und
Katharina Wagner. Vorab warf das Inszenierungsteam die Frage zum Jahr
2013 auf: „Welcher Hagen erschlägt welchen Siegfried – im übertragenen
und plakativen Sinne?“
David Timm brilliert mit dem Mendelssohn-Orchester und dem
Universitätschor, der Raumklang im Gipskarton-Ambiente voller
Lichtfarbenzauber aus rund 100 Scheinwerfern fasziniert, die Solisten -
allesamt Profis - beweisen klangvoll Strahlkraft. Es ist ein
vergleichbar kleines Team mit jeweils mehreren Partien.
Es sollte 2013 in Leipzig unbedingt einen „Ring des Nibelungen“ geben,
war schon vor Jahren das erklärte Ziel von David Timm und seinen
Vereinsmitstreitern, als in der Oper Leipzig Leitung und Konzeptionen
wechselten, ohne Richard Wagner zu bedenken. David Timm war einst auch
Stipendiat der Bayreuther Festspiele und des Richard-Wagner-Verbandes,
und damit Besucher mehrerer Vorstellungen im Festspielhaus. Im
Bundesverwaltungsgerichtsgebäude ließ er mit dem „Holländer“
aufhorchen, mit anderen Wagner-Werken im „Westwerk“. Längst ist David
Timm Universitätsmusikdirektor und wurde im Feuilleton schon nach
Genie-Maßstab Felix Mendelssohn Bartholdy nachgeordnet. „Bayreuth soll
Bayreuth bleiben“, hat David Timm mal gewünscht“, „und Leipzig muss
Leipzig werden!“
Alle Achtung
In diversen Redaktionen, Kuratorien und Dramaturgien wuselten die
Begriffe WAGNERDÄMMERUNG und PATHOS und WELTENSCHÖPFER schon umher, bei
der Suche nach den Hintergründen, politischen Abgründen und
persönlichen Verworrenheiten. Diese „Götterdämmerung“ sollte über die
beiden Vorstellungen hinaus erhalten bleiben. Alle Achtung dem Verein,
diese Produktion finanziell, personell und technisch bewerkstelligt zu
haben. Auch wenn es nicht der komplette „Ring des Nibelungen“ geworden
ist, woran einst gedacht war.
[...]
Leider – vorerst? – nur eine Premiere.
Burn, burn, burn! Ganz am Ende wird der Ring symbolisch dem
Feuer(-zeug) übergeben. Auch das Bayreuther Festspielhaus geht in
Flammen auf. Wagners Walhalla brennt. Dunkel und ab. Applaus und Hip
hip Hooray! Nach fünfeinhalb Stunden – zwei Pausen inklusive – ist die
ungewöhnliche „Götterdämmerung“ im Auditorium Maximum der Leipziger Uni
passé. Ein Mammutabend für die Zuhörer und noch viel gigantischeres
Projekt für alle Beteiligten, denn es wurde maßgeblich von der Freien
Szene inklusive einiger institutionalisierten Akteure gestemmt. Mit
gewitztem Inszenierungsansatz nahmen sie Wagner zwar nicht alle Längen,
setzten aber einen angenehmen Kontrapunkt zur blinden Es-Dur-Euphorie.
Für Wagner braucht man Passion, ein Wagner-Abend ist immer
Passionsspiel. Die einen leiden nur aufgrund der langen Sitzdauer. Wer
keine Leidenschaft fürs Bombastische mitbringt, quält sich doppelt.
(Muss Siegfried im Sterben liegend wirklich noch einmal erzählen, wie
er den Drachen Fafner erschlug etc.?) „Mein Musik-Machen ist eigentlich
ein Zaubern, denn mechanisch und ruhig kann ich gar nicht musizieren.“
Wie ein Magier sah sich Wagner Musik schöpfend, die nicht von dieser
Welt war. Ein Demiurg kreiert ein neues Universum, so inszenierte sich
das PR-Genie, das bereits 16-jährig Opernkomponist werden wollte. Und
(fast) alle folgten und folgen seinem Zauber. Wagner Hören und Sehen
ist die letzte Kunst-Religion. Dergestalt ist sie ein bourgeoiser
Fundamentalismus, der über das ästhetische Vergnügen hinaus nach etwas
Höherem, einer transzendenten Schicksals-Hörer-Gemeinschaft zum
organischen Volksklangkörper strebt. Das bürgerliche Subjekt kommt mit
Gleichgesinnten zusammen, um die Wucht des Gesamtkunstwerkes zu
genießen. Eine gewisse Leidensfähigkeit muss man hierzu mitbringen:
Stunden lang auf unbequemen Gestühl sitzend zu verharren, ist notwendig
für die Wagner-Ekstase. No pain, no gain.
Warum als einmal mehr Wagner im Wagner-Jahr? Weil man’s kann, und diese
„Götterdämmerung“ konnte sich sehen lassen. Konnte, denn sie wurde nur
einmal an des Komponisten Geburtstag am 22. Mai aufgeführt. Die sich
dafür vor elf Jahren gegründete Richard Wagner Gesellschaft 2013 wollte
Wagner an seinem Geburtsort ins Gedächtnis rufen – sie konnten damals
ja nicht ahnen, dass noch zig andere ebensolches planen werden und es
an der Pleiße bis zum Gehtnichtmehr herumwagnern würde. Selbst der
Bundesverteidigungsminister reiste ohne Drohne, aber mit großer Geste –
„Wagner verkörpert wie kaum ein anderer Künstler unsere eigene
gebrochene Geschichte“ – an. Den Richard Wagner Bunker am Brühl ließ er
aber nicht extra wieder öffnen.
Vom Pomp bloßen Abfeierns ist diese „Götterdämmerung“ – Inszenierung:
Joachim Rathke, musikalische Leitung: David Timm – ein gutes Stück
entfernt. Den roten Faden bildet eine Familienaufstellung des
Wagner-Clans. In verschiedenen Dekaden (1873, 1913, 1943, 2013) kommen
die Wagners zusammen, um Richards Geburtstag zu feiern. Und was kann es
da Lustigeres für das kollektive Ego geben, als das Nachspielen des
finalen „Ring“-Stücks? Wagner und die Seinen liebten das
Theaterspielen. Also gar keine unplausible Grundkonstellation, die
durch das minimalistische Bühnenbild (Ausstattung: Heike Mondschein) –
es reichen ein Sofa, ein Tisch und ein paar Requisiten – nicht
überdeckt wird. So verbindet sich recht geschickt auch die Geschichte
der Wagner-Rezeption mit dem Stoff. Durch die Jahrzehnte hinweg
schwören die Verwandten immer wieder auf den »Ring«, ein schönes Bild
für die Rangeleien um die Deutungshoheit im Clan. Schlussendlich sind
es die über die Bayreuther Festspielherrschaft verkrachten Nike sowie
Eva und Katharina, die noch einmal das „Rheingold – Reines Gold“
besingen. Wenn der angeheiratete Houston Stewart Chamberlain, Dandy,
Antisemit und Hitler-Inspirator, den Hagen gibt und zur Wacht am Rhein
mit der Reichskriegsflagge winkt, ist das eine treffende
Kontextualisierung. Wagners Geist erscheint als Alberich – auch ein
netter Seitenhieb. Im letzten Aufzug kommt der Universitätschor als
wilde Jagd vom Augustusplatz herein, das Schild „Protest gegen
Audimax-Blockierung“ wird mitgetragen. Vielleicht eine Entschuldigung
für die vier Wochen, in denen die Studierenden Ausweichorte für den
größten Hörsaal der Uni ertragen mussten?
Die Akustik überraschend gut, auch wenn das Orchester hinter der Bühne
Platz genommen hat. Man muss die Musik halt mögen, sonst auch dieser
Abend zähfließend, Wagner ist eben Wagner. Und wenn die Luft raus ist
aus dem diesjährigen Jubiläums-Geburtstagsballon, kann man ja etwas
Nietzsche lesen zur geistigen Erb- und Verdauung, der ironisierte:
„Alles, was Wagner kann, wird ihm niemand nachmachen, hat ihm keiner
vorgemacht, soll ihm keiner nachmachen [...] Wagner ist göttlich!“
Oper als Familiengeschichte, diese Idee hatte der freischaffende Regisseur Joachim Rathke,
als es darum ging, zusammen mit David Timm und der Universitätsmusik Leipzig in freier
Produktion die „Götterdämmerung“ als Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner zu inszenieren.
Eingegliedert in die von der „Richard-Wagner-Gesellschaft 2013“ seit 2006 veranstalteten Festtage
fand im Auditorium Maximum des neuen Augusteum am 22. Mai eine in jeder Beziehung einmalige
Aufführung statt. In nur sieben Wochen Probenarbeit hat man Wagners letzten Teil des
„Rings“ gestemmt und abseits der Opernbühne bühnenwirksam in Szene gesetzt
Die Wagner-Kinder, -enkel und Urenkel, verkörpert von professionellen Sängerinnen und Sängern,
sind Nornen, Rheintöchter und Protagonisten der ursprünglichen Handlung. Zum Vorspiel schläft
der Meister, er ist gerade 60 geworden, beim Gesang der Nornen (Daniela, Blandine und Eva)
auf seinem berühmten roten Sofa ein. Man schreibt das Jahr 1873, die Familie Wagner lebt
seit einem Jahr im Haus Wahnfried in Bayreuth. Auf der Bühne (Ausstattung: Heike Mondschein)
ist das Familienidyll lebensnah nachgestellt. Ein Fotograf, später ist er Gunther, noch
später Fotograf einer Leipziger Zeitung - schießt das berühmteste Foto des Ehepaares Wagner -
das Original als Projektion kommt ergänzend dazu. Überhaupt sind Projektionen neben Erklärungen
im Programmheft für den Opernbesucher hilfreich, denn nicht jeder kennt sich in der
Familiengeschichte der Wagners gleichermaßen gut aus. Im ersten Aufzug - man schreibt
das Jahr 1913 - ist Isolde Brünnhild, und während sich Siegfried als Siegfried
verkleidet, lässt es David Timm im Orchester hinter der Bühne so richtig krachen.
Wagner wäre 100 geworden, und in Bayreuth macht sich der Einfluss eines umstrittenen
Mannes bemerkbar: Houston Stewart Chamberlain. In der Inszenierung ist er Hagen,
der sich mit Intrige des Ringes bemächtigen will. Noch scheinen Rathkes
Rollenzuweisungen stringent, aber im zweiten Aufzug mit
Hakenkreuz-Symbolen, 1943 ist die für die Regie ideengebende Jahreszahl, wird Wolfgang
Wagner dem Bösewicht zugeordnet, Wieland ist Siegfried, Friedelind Brünnhild. Und
um auch Richard Wagners Rolle im Dritten Reich zu thematisieren, tritt er als
dessen Geist in der Rolle des Alberich auf. Winifred ist Gutrune und lenkt
zigarettenrauchend das Geschehen. Die verwandtschaftlichen Konstellationen der Familie
Wagner geraten zwar durcheinander, aber das Spiel im Spiel geht weiter. Im dritten
Aufzug treten die „Rheintöchter“ der Gegenwart Nike, Katharina und Eva mit Schöngesang auf,
die tragischen Rollen mutieren zu „Opernbesuchern“, und der Untergang Walhalls
(bei Rathke brennt das Bayreuther Festspielhaus!) wird mit Partyattributen
zelebriert - Geburtstag 2013 eben.
Fazit. Eine unpathetische und spielerische Interpretation von Wagners
Bühnenwerk, die dem Anspruch der Wagner-Gesellschaft, Richard Wagner
kritisch, geistreich und unkonventionell zu begegnen mehr als gerecht
wurde. Das nur für diese Produktion zusammengestellte Gesangsensemble,
zum Teil mit Rollendebütanten, konnte stimmlich und schauspielerisch
begeistern und das großartige Orchester unter der Leitung von
Universitätsmusikdirektor David Timm gratulierte dem Jubilar mit einer
kongenialen Leistung.