Aus „Leipziger Volkszeitung“, 24.5.2013

Peter Korfmacher: „Gut und schön“

Mit Jubel wurde am Mittwochabend im Audimax der Leipziger Universität der wohl interessanteste Beitrag zu den Wagner-Festtagen gewürdigt – und gewiss der mutigste: die szenische Aufführung des „Götterdämmerung“, verwirklicht von der Wagner Gesellschaft Leipzig 2013 und der Leipziger Universitätsmusik, inszeniert von Joachim Rathke, dirigiert von Universitätsmusikdirektor David Timm.

Eigentlich geht das gar nicht: die „Götterdämmerung“, ohne die Ressourcen eines großen Opernhauses privat organisiert. Aber wenn Richard Wagner für etwas steht, dann dafür, Bedenken forsch beiseite zu schieben und Visionen in die Wirklichkeit zu pressen. So haben es in den letzten Jahren auch David Timm und seine Mitstreiter von der Wagner Gesellschaft Leipzig 2013 gemacht.
Ursprünglich sollte ihre „Götterdämmerung“ im Paulinum über die Bühne gehen. Doch weil das nicht fertig wurde, spielte die erste und letzte Aufführung am Mittwochabend im Audimax der Universität. Und das erweist sich wider Erwarten als geeigneter Ort – nicht nur, weil das Gestühl bei einem rund sechsstündigen Opernabend in Komfort-Fragen den Kampf mit Bayreuth aufnehmen kann.
Der Raum sorgt dafür, dass vieles anders ist als gewohnt: Das Orchester sitzt hinter der Bühne, die sich sehr breit und nicht sehr tief als Podest zwischen ihm und dem Publikum erhebt. Den Kontakt zu den Sängern hält Timm über Bildschirme, was zumindest in den vorderen Reihen für eine recht ausgewogene dynamische Balance zwischen Sängern und Orchester sorgt. Hinten wird’s schwierig, wenn Timm es krachen lässt. Aber das verträgt er, der Wagner. Wie überhaupt seine „Götterdämmerung“ diese Form des Zugriffs bestens verträgt.
Auf minimalistischer Bühne schließt Rathke das Personal der letzten Ring-Oper mit dem Wagner-Clan von Richard bis heute kurz. Was oft gut funktioniert: Die Wagner-(Halb-)Schwestern Katharina, Nike und Eva sind im dritten Aufzug die Rheintöchter, Gunther, der lethargische Gibichungen-König, läuft als Hausfotograf des Wagner-Clans wie bestellt und nicht abgeholt durchs Bild. Manchmal geht es nicht so gut auf. Was der Inszenierung keinen Abbruch tut. Weil Rathke auf sparsam möblierter Bühne (Heike Mondschein) und in Oliver Viehwegs nicht durchweg vorteilhaften Kostümen neben der Geschichte der Wagners auch Wagners Geschichte nicht aus den Augen verliert und so nicht zu Pathos, aber zu szenischer Spannung findet.
Die Sensation des Abends indes sieht man nicht, man hört sie. Die „Götterdämmerung“ ist für alle Beteiligten schwer, richtig schwer. Auch in großen Opernhäusern sind da oft Dinge zu hören, die man lieber nicht hörte. Und hier tritt selbstbewusst ein Ensemble auf, das zum großen Teil auf Rollen-Debütanten setzt.
Etwa auf Fritz Feilhaber, in Weimar geboren, unter anderem in Leipzig ausgebildet, nun mit seinem ersten Siegfried zu erleben. Und der beeindruckt rundum. Feilhabers Tenor klingt leicht, ist aber durchsetzungsfähig, bewahrt sich lyrischen Schmelz und hat doch die Kraft, sich in dieser Helden-Partie zu behaupten. Kurz bevor Hagen ihn meuchelt, zeigt er in der Erinnerungs-Szene, wie anstrengend und umfänglich sie ist. Aber wer zeigt das nicht? Feilhaber sollte noch nicht ständig Siegfried singen, aber er kann ihn singen. Und zwar gut – und schön. Bert Mario Temme braucht ein wenig, um als Gunther in Fahrt zu kommen, aber nach und nach rastet auch sein Organ ein. Selbst kleinere Partien werden groß, übernimmt man, wie Carolin Masur, gleich drei davon (Waltraute, Zweite Norn, Wellgunde). Katharina Timm und Sonja Westermann sind jeweils als Norn und Rheintochter unterwegs, und ihnen gelingen einzeln wie im Ensemble ausgesprochen schöne Momente.
Zwei Partien sind mit gestandenen Wagner-Sängern besetzt: Nimmt sich Sabine Paßow als Brünnhilde ein wenig zurück, gelingen berührende Momente des Erkennens, der Verstörung, der Verzweiflung. Und Stephan Klemm, im aktuellen „Rheingold“ an der Oper Leipzig als Fasolt ein Naturereignis, ist auch als Hagen fabelhaft. Stimmlich wie darstellerisch. Klemm gibt sich nicht damit zufrieden, einen Bösewicht auf die Bühne zu wuchten. Er zeichnet einen vielschichtigen Charakter, satt tönend, voller Nuancen zwischen metallischer Härte und trügerischem Charme.
Es liegt in der Natur der Sache, wenn eine bunt zusammengewürfelte Capella telefonica, wie das mächtig gewaltig aufgeblasene Mendelssohn-Orchester sich eine solche Partitur vornimmt, manches nur mit Kraft funktioniert. Aber da der klug disponierende Timm am Pult die Chose gut beisammen hält und auch im Tumult noch um Differenzierung bemüht ist, geht auch das in Ordnung. Manche Register, die hier mit Studenten besetzt sind, bringen auch Profis an den Rand der Verzweiflung, wie unlängst im Gewandhaus zu begutachten. Es bedarf also nicht der wohlwollenden Relativierung, um dieser Orchesterleistung mit Lust und Begeisterung zu folgen. Einzig der Universitätschor agiert oft jenseits seiner dynamischen Grenzen. Geschenkt.
Timm bringt das alles am Pult zu einer auf Fluss und Entwicklung bauenden hochdramatischen, aber nicht verfetteten Interpretation zusammen, die es sehr bedauerlich erscheinen lässt, dass aus dem Plan nichts wurde, den gesamten „Ring“ zu produzieren. Doch sollte man niemals „nie“ sagen. Eigentlich geht eine solche „Götterdämmerung“ ja auch nicht.



Aus „Leipziger Internetzeitung“, 21.5.2013

Karsten Pietsch: „Götterdämmerung“ im Audimax: Leipziger Verein bringt große Oper auf die Bühne

Hakenkreuzarmbinden an Uniformen im Audimax am Augustusplatz. Und es ging nicht in aller Theorie um das Godwin-Gesetz, wonach alle Chats irgendwann zum Thema Hitler kommen. Nein, es waren Theaterkostümteile, passend, weil Wagners Werk als Familienchronik dargeboten werden sollte.

Weil das Paulinum nach vier Jahren Bauverzug noch immer nicht fertig ist, rückte Universitätsmusikdirektor David Timm in den Hörsaal ein. (Und die protestierenden Studenten gingen mal zur Vorlesung ins Opernhaus.) Geboten wurde nicht Power Point Präsentation und Experiment, sondern ein Orchester in Opernhausstärke und eine interessante, schlüssige Inszenierung.
Zum Richard-Wagner-Geburtstag gibt es Mittwochabend die Premiere und – bisher – einzige Aufführung. Montag war öffentliche Generalprobe, bei der zu Beginn Regisseur Joachim Rathke auf die Bühne musste, weil die Hauptsicherung zunächst das Bühnenlicht blockierte. Was dann kam, war premierenreif. Und repertoiretauglich.

Geburtstagsparty im Familienkreis

Kinder tummeln sich auf der Bühne, man fasst schon mal an die Geburtstagstorte und leckt den Finger ab. Ein Teddybär, auch ein Symbol des 20. Jahrhunderts, wird in allen Zeiten immer mal wieder zum Trostspender. Und weil die Familie beschließt, die „Götterdämmmerung“ als Geburtstagsspiel aufzuführen, werden Rollen verteilt, Requisiten gereicht, das Schaukelpferd wird zu Grane und Brünnhilde feixt, wenn sie den Tisch der guten Stube als Thron besteigt.
1873, 1913, 1943, 2013 sind die Signaturen des Vorspiels und der drei Aufzüge. Richard Wagners 60. Geburtstag wird in Familie gefeiert, dazu reichen sich die Erben-Generationen den Schatz weiter: den goldenen Ring. Der zum Feuerzeug wird. Akteure sind Richard Wagners Erben. Die Weltesche wächst mit, als Grünpflanze im Topf. Und, hörsaalkonform, wird der Stammbaum trickreich an die Wand geworfen.
Bayreuths Studiobühne hatte vor Jahren die Idee, im beliebten Bretterbuden-Sommerquartier in der Steingraeber-Pianofabrik die Richard-Wagner-Werk-und-Familiengeschichte aus Sicht der Kinder erzählen zu lassen, auf dem Dachboden der Villa Wahnfried, in der gerade Adolf Hitler zu Gast war. Wagner-Inszenierungen als Museum für Deutsche Geschichte anzulegen, hat Stefan Herheim u. a. in Berlin und Bayreuth probiert. Es in der Familie Wagner götterdämmern zu lassen, ist ein originärer neuer und Leipziger Einfall.

Hörsaal-Theater

Regisseur Joachim Rathke und Ausstatterin Heike Mondschein scheuten nicht Ideen, Handlungsfäden, komplett ausgearbeitete Kostüme und – sofort prüfbare – Fotoporträt-Ähnlichkeiten. Bernd Erich Gengelbach, euro-scene Leipzig-erprobt, hat Bühne und Beleuchtung eingebaut und sagt zurecht: „Das ist ein richtig schönes Theater geworden.“ Das Orchester spielt hinter der Bühne, unter dem Sichtfeld, eine kaum meterhohe Wand trennt auch die Akustik. Ganz hinten an der Rückwand und fürs Publikum sichtbar steht Dirigent David Timm.
Ihn im Sichtfeld zu haben, mit überaus geordneter Schlagtechnik und Text im Mund, hat den Reiz, das auch Töne für den Hörer vorbereitet werden.
Zum dritten Aufzug strömt der 50-Personen-Chor über die Hörsaaltreppen zur Bühne mit großen Party-Luftballons, rechnerisch richtig steht die Zahl „2013“ in der Luft. Dann muss schon mal ein Siegfried-Darsteller quasi aus dem Publikum geholt werden. Und man erkennt in den Rheintöchtern unschwer die Damen Nike Wagner, Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. Vorab warf das Inszenierungsteam die Frage zum Jahr 2013 auf: „Welcher Hagen erschlägt welchen Siegfried – im übertragenen und plakativen Sinne?“
David Timm brilliert mit dem Mendelssohn-Orchester und dem Universitätschor, der Raumklang im Gipskarton-Ambiente voller Lichtfarbenzauber aus rund 100 Scheinwerfern fasziniert, die Solisten - allesamt Profis - beweisen klangvoll Strahlkraft. Es ist ein vergleichbar kleines Team mit jeweils mehreren Partien.
Es sollte 2013 in Leipzig unbedingt einen „Ring des Nibelungen“ geben, war schon vor Jahren das erklärte Ziel von David Timm und seinen Vereinsmitstreitern, als in der Oper Leipzig Leitung und Konzeptionen wechselten, ohne Richard Wagner zu bedenken. David Timm war einst auch Stipendiat der Bayreuther Festspiele und des Richard-Wagner-Verbandes, und damit Besucher mehrerer Vorstellungen im Festspielhaus. Im Bundesverwaltungsgerichtsgebäude ließ er mit dem „Holländer“ aufhorchen, mit anderen Wagner-Werken im „Westwerk“. Längst ist David Timm Universitätsmusikdirektor und wurde im Feuilleton schon nach Genie-Maßstab Felix Mendelssohn Bartholdy nachgeordnet. „Bayreuth soll Bayreuth bleiben“, hat David Timm mal gewünscht“, „und Leipzig muss Leipzig werden!“

Alle Achtung

In diversen Redaktionen, Kuratorien und Dramaturgien wuselten die Begriffe WAGNERDÄMMERUNG und PATHOS und WELTENSCHÖPFER schon umher, bei der Suche nach den Hintergründen, politischen Abgründen und persönlichen Verworrenheiten. Diese „Götterdämmerung“ sollte über die beiden Vorstellungen hinaus erhalten bleiben. Alle Achtung dem Verein, diese Produktion finanziell, personell und technisch bewerkstelligt zu haben. Auch wenn es nicht der komplette „Ring des Nibelungen“ geworden ist, woran einst gedacht war.
[...]
Leider – vorerst? – nur eine Premiere.



Aus „Kreuzer“, Juni 2013

Tobias Prüwer: Wagnerweihe als Familienaufstellung

No pain, no gain? Die Freie-Szene-Produktion „Götterdämmerung“ war ein Lichtblick

Burn, burn, burn! Ganz am Ende wird der Ring symbolisch dem Feuer(-zeug) übergeben. Auch das Bayreuther Festspielhaus geht in Flammen auf. Wagners Walhalla brennt. Dunkel und ab. Applaus und Hip hip Hooray! Nach fünfeinhalb Stunden – zwei Pausen inklusive – ist die ungewöhnliche „Götterdämmerung“ im Auditorium Maximum der Leipziger Uni passé. Ein Mammutabend für die Zuhörer und noch viel gigantischeres Projekt für alle Beteiligten, denn es wurde maßgeblich von der Freien Szene inklusive einiger institutionalisierten Akteure gestemmt. Mit gewitztem Inszenierungsansatz nahmen sie Wagner zwar nicht alle Längen, setzten aber einen angenehmen Kontrapunkt zur blinden Es-Dur-Euphorie.
Für Wagner braucht man Passion, ein Wagner-Abend ist immer Passionsspiel. Die einen leiden nur aufgrund der langen Sitzdauer. Wer keine Leidenschaft fürs Bombastische mitbringt, quält sich doppelt. (Muss Siegfried im Sterben liegend wirklich noch einmal erzählen, wie er den Drachen Fafner erschlug etc.?) „Mein Musik-Machen ist eigentlich ein Zaubern, denn mechanisch und ruhig kann ich gar nicht musizieren.“ Wie ein Magier sah sich Wagner Musik schöpfend, die nicht von dieser Welt war. Ein Demiurg kreiert ein neues Universum, so inszenierte sich das PR-Genie, das bereits 16-jährig Opernkomponist werden wollte. Und (fast) alle folgten und folgen seinem Zauber. Wagner Hören und Sehen ist die letzte Kunst-Religion. Dergestalt ist sie ein bourgeoiser Fundamentalismus, der über das ästhetische Vergnügen hinaus nach etwas Höherem, einer transzendenten Schicksals-Hörer-Gemeinschaft zum organischen Volksklangkörper strebt. Das bürgerliche Subjekt kommt mit Gleichgesinnten zusammen, um die Wucht des Gesamtkunstwerkes zu genießen. Eine gewisse Leidensfähigkeit muss man hierzu mitbringen: Stunden lang auf unbequemen Gestühl sitzend zu verharren, ist notwendig für die Wagner-Ekstase. No pain, no gain.
Warum als einmal mehr Wagner im Wagner-Jahr? Weil man’s kann, und diese „Götterdämmerung“ konnte sich sehen lassen. Konnte, denn sie wurde nur einmal an des Komponisten Geburtstag am 22. Mai aufgeführt. Die sich dafür vor elf Jahren gegründete Richard Wagner Gesellschaft 2013 wollte Wagner an seinem Geburtsort ins Gedächtnis rufen – sie konnten damals ja nicht ahnen, dass noch zig andere ebensolches planen werden und es an der Pleiße bis zum Gehtnichtmehr herumwagnern würde. Selbst der Bundesverteidigungsminister reiste ohne Drohne, aber mit großer Geste – „Wagner verkörpert wie kaum ein anderer Künstler unsere eigene gebrochene Geschichte“ – an. Den Richard Wagner Bunker am Brühl ließ er aber nicht extra wieder öffnen.
Vom Pomp bloßen Abfeierns ist diese „Götterdämmerung“ – Inszenierung: Joachim Rathke, musikalische Leitung: David Timm – ein gutes Stück entfernt. Den roten Faden bildet eine Familienaufstellung des Wagner-Clans. In verschiedenen Dekaden (1873, 1913, 1943, 2013) kommen die Wagners zusammen, um Richards Geburtstag zu feiern. Und was kann es da Lustigeres für das kollektive Ego geben, als das Nachspielen des finalen „Ring“-Stücks? Wagner und die Seinen liebten das Theaterspielen. Also gar keine unplausible Grundkonstellation, die durch das minimalistische Bühnenbild (Ausstattung: Heike Mondschein) – es reichen ein Sofa, ein Tisch und ein paar Requisiten – nicht überdeckt wird. So verbindet sich recht geschickt auch die Geschichte der Wagner-Rezeption mit dem Stoff. Durch die Jahrzehnte hinweg schwören die Verwandten immer wieder auf den »Ring«, ein schönes Bild für die Rangeleien um die Deutungshoheit im Clan. Schlussendlich sind es die über die Bayreuther Festspielherrschaft verkrachten Nike sowie Eva und Katharina, die noch einmal das „Rheingold – Reines Gold“ besingen. Wenn der angeheiratete Houston Stewart Chamberlain, Dandy, Antisemit und Hitler-Inspirator, den Hagen gibt und zur Wacht am Rhein mit der Reichskriegsflagge winkt, ist das eine treffende Kontextualisierung. Wagners Geist erscheint als Alberich – auch ein netter Seitenhieb. Im letzten Aufzug kommt der Universitätschor als wilde Jagd vom Augustusplatz herein, das Schild „Protest gegen Audimax-Blockierung“ wird mitgetragen. Vielleicht eine Entschuldigung für die vier Wochen, in denen die Studierenden Ausweichorte für den größten Hörsaal der Uni ertragen mussten?
Die Akustik überraschend gut, auch wenn das Orchester hinter der Bühne Platz genommen hat. Man muss die Musik halt mögen, sonst auch dieser Abend zähfließend, Wagner ist eben Wagner. Und wenn die Luft raus ist aus dem diesjährigen Jubiläums-Geburtstagsballon, kann man ja etwas Nietzsche lesen zur geistigen Erb- und Verdauung, der ironisierte: „Alles, was Wagner kann, wird ihm niemand nachmachen, hat ihm keiner vorgemacht, soll ihm keiner nachmachen [...] Wagner ist göttlich!“



Aus „Tabula Rasa“, Zeitung für Gesellschaft und Kultur, Juni 2013

Sylvia Hüggelmeier: Der Wagner-Clan spielt die „Götterdämmerung“

Oper als Familiengeschichte, diese Idee hatte der freischaffende Regisseur Joachim Rathke, als es darum ging, zusammen mit David Timm und der Universitätsmusik Leipzig in freier Produktion die „Götterdämmerung“ als Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner zu inszenieren. Eingegliedert in die von der „Richard-Wagner-Gesellschaft 2013“ seit 2006 veranstalteten Festtage fand im Auditorium Maximum des neuen Augusteum am 22. Mai eine in jeder Beziehung einmalige Aufführung statt. In nur sieben Wochen Probenarbeit hat man Wagners letzten Teil des „Rings“ gestemmt und abseits der Opernbühne bühnenwirksam in Szene gesetzt
Die Wagner-Kinder, -enkel und Urenkel, verkörpert von professionellen Sängerinnen und Sängern, sind Nornen, Rheintöchter und Protagonisten der ursprünglichen Handlung. Zum Vorspiel schläft der Meister, er ist gerade 60 geworden, beim Gesang der Nornen (Daniela, Blandine und Eva) auf seinem berühmten roten Sofa ein. Man schreibt das Jahr 1873, die Familie Wagner lebt seit einem Jahr im Haus Wahnfried in Bayreuth. Auf der Bühne (Ausstattung: Heike Mondschein) ist das Familienidyll lebensnah nachgestellt. Ein Fotograf, später ist er Gunther, noch später Fotograf einer Leipziger Zeitung - schießt das berühmteste Foto des Ehepaares Wagner - das Original als Projektion kommt ergänzend dazu. Überhaupt sind Projektionen neben Erklärungen im Programmheft für den Opernbesucher hilfreich, denn nicht jeder kennt sich in der Familiengeschichte der Wagners gleichermaßen gut aus. Im ersten Aufzug - man schreibt das Jahr 1913 - ist Isolde Brünnhild, und während sich Siegfried als Siegfried verkleidet, lässt es David Timm im Orchester hinter der Bühne so richtig krachen. Wagner wäre 100 geworden, und in Bayreuth macht sich der Einfluss eines umstrittenen Mannes bemerkbar: Houston Stewart Chamberlain. In der Inszenierung ist er Hagen, der sich mit Intrige des Ringes bemächtigen will. Noch scheinen Rathkes Rollenzuweisungen stringent, aber im zweiten Aufzug mit Hakenkreuz-Symbolen, 1943 ist die für die Regie ideengebende Jahreszahl, wird Wolfgang Wagner dem Bösewicht zugeordnet, Wieland ist Siegfried, Friedelind Brünnhild. Und um auch Richard Wagners Rolle im Dritten Reich zu thematisieren, tritt er als dessen Geist in der Rolle des Alberich auf. Winifred ist Gutrune und lenkt zigarettenrauchend das Geschehen. Die verwandtschaftlichen Konstellationen der Familie Wagner geraten zwar durcheinander, aber das Spiel im Spiel geht weiter. Im dritten Aufzug treten die „Rheintöchter“ der Gegenwart Nike, Katharina und Eva mit Schöngesang auf, die tragischen Rollen mutieren zu „Opernbesuchern“, und der Untergang Walhalls (bei Rathke brennt das Bayreuther Festspielhaus!) wird mit Partyattributen zelebriert - Geburtstag 2013 eben.
Fazit. Eine unpathetische und spielerische Interpretation von Wagners Bühnenwerk, die dem Anspruch der Wagner-Gesellschaft, Richard Wagner kritisch, geistreich und unkonventionell zu begegnen mehr als gerecht wurde. Das nur für diese Produktion zusammengestellte Gesangsensemble, zum Teil mit Rollendebütanten, konnte stimmlich und schauspielerisch begeistern und das großartige Orchester unter der Leitung von Universitätsmusikdirektor David Timm gratulierte dem Jubilar mit einer kongenialen Leistung.

Wagner Festtage Leipzig 2013

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