Aus: "Die Rheinpfalz", 22.5.2006

Frank Pommer: Alpines Liebeslabor

Das Pfalztheater Kaiserslautern entdeckt Mozarts frühe Oper "La finta semplice" und setzt sie musikalisch und szenisch überzeugend um

Während viele andere Theater im Mozartjahr 2006 vor allem auf unverwüstliche Dauerbrenner wie "Don Giovanni" oder "Figaro" setzen, geht das Pfalztheater in Kaiserslautern mit Mozarts erster Buffa-Oper "La finta semplice" ein großes Risiko ein. Und gewinnt - dank einer musikalisch wie szenisch überwiegend überzeugenden Produktion, die am Samstagabend Premiere hatte.

Ja doch, der Begriff des Wunderbaren wird im Zusammenhang mit Mozart immer und immer wieder strapaziert. Aber wie anders soll man denn fassen, was eigentlich unbegreiflich ist: Da bekommt ein zwölfjähriges Kind 1768 den kaiserlichen Auftrag, eine Oper für das Wiener Hoftheater zu komponieren.

In der "Finta" hören wir ein Kaleidoskop der Musikstile der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts, immer aber hören wir vor allem Mozart. Nicht nur den Zwölfjährigen, sondern auch den reifen des "Figaro". Es ist bereits alles da, wenn auch längst noch nicht in Vollendung. Noch besteht das Personal aus eher schematischen Figuren. Aber noch hat Mozart eben auch seinen kongenialen Librettisten Da Ponte nicht gefunden.

Für die "Finta" muss er sich mit Marco Coltellini bescheiden, der ihm das Goldoni-Stück eingerichtet hat. Nicht sehr erfolgreich erzählt es von der "verstellten Einfalt", wie der Titel verspricht, von Rosina, die durch eine List nicht nur zwei Ehen stiftet, sondern sich auch selbst einen Ehemann verschafft, indem sie den Frauenhasser Cassandro von ihren körperlichen Reizen überzeugt. Dass sie dabei schamlos mit der Liebe Polidoros, des Bruders Cassandros, spielt, ist ihr egal. Der Zweck heiligt die Mittel, und im Finale stimmt Cassandro der Heirat seiner Schwester Giacinta mit Rosinas Bruder Fracasso ebenso zu wie der von Fracassos Diener Simone mit Giacintas Mädchen Ninetta.

Das klingt nicht nur verwirrend, das ist eigentlich auch eine Höchststrafe für jede Inszenierung, die nach einer sinnvollen Dramaturgie strebt. Der Kaiserslauterer Regisseur Joachim Rathke löst sich sehr geschickt aus der Umklammerung dieses Libretto-Labyrinths. Er verlegt zusammen mit seinem Team (Bühne: Thomas Dörfler, Kostüme: Dietlind Konold) die Handlung in die 50er Jahre des 20.Jahrhunderts. Die Geschichte spielt in dem Berghotel "Stella Alpina", das Cassandro zusammen mit Bruder und Schwester leitet. Dort wird das Opernpersonal, ergänzt um eine russische Gräfin und eine männliche Köchin, eingeschneit und abgeschnitten von jedem Kontakt mit der Umwelt. Die Irrungen und Wirrungen der Gefühle müssen sich erst in diesem Liebeslabor geklärt haben, bevor man die Versuchspersonen wieder auf die Menschheit loslassen kann. Erst im finalen Happyend, wenn jedes Töpfchen sein Deckelchen bekommt, rettet die Bergwacht die Eingeschlossenen.

Das Regiekonzept, das geschickt auch einige running gags wie die ständig "Hallo" ins Telefon blökende Gräfin einbaut, trägt über die gut drei Stunden Spielzeit (...).

Fazit: Es gilt, eine wundervolle Entdeckung zu machen im Mozartjahr, in dem man eigentlich glaubte, alles gesehen und gehört zu haben. Nicht nur für Mozart-Liebhaber. Für die aber sowieso.



Aus: "Das Opernglas", No. 7/8, 2006

M. Fiedler

(...)
So harmonisch und angenehm eingängig und leicht verdaulich die Arien und Ensembles von "La Finta Semplice" auch erscheinen, dramaturgisch ist die Goldoni-Vertonung alles andere als ein Leichtgewicht. Einfach umzusetzen ist das knisternde Verwirrspiel um die Schönheit der Liebe, die Frische der Jugend und die Kälte der Frauen nicht. In den 21 die Charaktere scharf umreißenden und stilistisch geschlossenen Arien, die schon auf spätere Werke hinweisen, wird viel geschwelgt, geschwärmt, kokettiert. Durch das erotische Katz-und Mausspiel einen stringenten Handlungsfaden zu ziehen ist für die Regie eine echte Herausforderung. Das Stück handelt von sechs Menschen - Heiratswilligen und Heiratsmuffeln, Verliebten und "Nicht verliebt sein Wollenden". Um das Lustspiel greifbarer zu machen, hat Joachim Rathke es in ein heruntergewirtschaftetes Hotel in den italienischen Bergen zur Zeit der 50er-Jahre transponiert. Mit viel Witz und Charme hat er die skurrilen Figuren in der Hotellobby von Thomas Dörfler und den bunten Kostümen von Dietlind Konold liebevoll skizziert. Ein Paradebeispiel hierfür ist die im Bad spielende, herzhaft komische, als Accompagnato gestaltete Pantomime zwischen Rosina und Cassandro. Auch der Einfall des den Rahmen einengenden Schneesturms trägt zur Originalität des Konzeptes bei - und zu einem ungewöhnlichen Schluss: Selbst der frauenfeindliche Polidoro muss nicht leer ausgehen, bekehrt sich und angelt sich eine den Hotelgästen im Schneetreiben zu Hilfe kommende Retterin des Roten Kreuzes. Auch musikalisch ist diese Neuproduktion des Pfalztheaters ein Mozart vom Feinsten.

(...) Ein einhelliger Premierenerfolg und eine schöne Hommage des Pfalztheaters an das Geburtstagskind Mozart.



Aus: "Der Neue Merker", August/September 2006

Andreas Hauff

(...)
Daran, dass dem Publikum die drei Stunden nicht langweilig werden, hat das unter der Leitung von GMD Francesco Corti frisch aufspielende Orchester des Pfalztheaters einen großen Anteil - einschließlich des die Rezitative frisch begleitenden Cembalisten.

(...) Dass Mozarts Personenverzeichnis um zwei stumme Rollen, eine Köchin und eine russische Gräfin erweitert wird, die den mitunter drohenden szenischen Leerlauf überbrücken, ist ein Kunstgriff von Regisseur Joachim Rathke und Bühnenbildner Thomas Dörfler. Sie verlegen das Geschehen aus einem italienischen Landgut in ein eingeschneites Hotel in den norditalienischen Alpen. Dörfler hat dazu eine herrlich heruntergekommene alte Hotelhalle im Stil des frühen 20.Jhs. gebaut, in der sich fast alle Szenen plausibel abspielen. Was auf den ersten Blick verrückt erscheint, entbehrt nicht der psychologischen Logik. Denn erst die Situation des Eingeschlossenseins macht jene Treibhaus-Atmosphäre glaubhaft, in der die Figuren tagelang umeinander kreisen und sich in ziemlich eigenwillige Vorstellungen versteigern, ohne dass sie ernsthaft arbeiten müssten oder gar mit der Außenwelt in Berührung kämen. Mit einer Prise Horvath ("Zur schönen Aussicht") oder Thomas Mann ("Der Zauberberg") wirkt die Handlung von "La Finta Semplice" dann gar nicht mehr so belanglos. Sympathisch ist die Schluss-Variante, die der Struktur des Werkes keine Gewalt antut: Eine Rot-Kreuz-Truppe befreit die inzwischen meterhoch im Schnee verschütteten Hotelbewohner aus ihrer Isolation. Polidoro, der - etwas unfair - leer ausgegangen ist, als sich die Paare zusammenfanden, weckt dabei gleich die Aufmerksamkeit einer netten jungen Sanitäterin...

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