Aus: „Kieler Nachrichten“ vom 30.8.2021

Christian Strehk: „Drei Leben in Theaterluft“

Während sich das Ensemble auf die Puccini-Probe vorbereitet, schlurft das alte Theatertier, die Souffleuse, zu ihrem Platz am Rande der Bühne. Kammerschauspielerin Almuth Schmidt wird ihr zweieinhalb Stunden stille Bühnenpräsenz verleihen. Alles hat diese Madame Chrysanthème schon erlebt in der Opernwelt: hochgejubelt als steppender Kinderstar Little Miss Butterfly (ebenso ausdrucksstark: Mara Peter), später gefordert, gefördert und gefährdet als Primadonna…

Nur einmal wird sie nun - beinahe - in das zwischen Opernprobe und Hinterbühnenrealität changierende Spiel eingreifen, um Schlimmes zu verhindern. Das, was ihr einst geschah und hier wieder gnadenlos vor Augen geführt wird: Wenn Cio-Cio-San wie ein schöner japanischer Schmetterling für die Sammlung des amerikanischen Schürzenjägers Pinkerton aufgespießt wird und im Zenit ihrer Gesangskarriere einmal alles auf die anspruchsvolle Karte Butterfly setzt.

Der Regisseur Joachim Rathke landet so tatsächlich einen Puccini-Coup. Ausgewählte Szenen der bekannten Bilderbuch-Tragödie um die vom sextouristischen Kolonialherren verlassene Geisha präsentiert er in den wunderschönen Kostümen von Ausstatterin Claudia Spielmann als opulentes Theater auf dem Theater. Andere aber erscheinend doppelbödig ungeschminkt im Zwielicht der missgünstig konkurrierenden Ensemble-„Familie“.

Cio-Cio-Sans unwirksamer Ehevertrag wird kurzerhand zum auslaufenden Kontrakt mit dem Impresario Sharpless (eindrucksvoll undurchsichtig: Stefano Meo) umgedeutet. Kein Wunder, dass der im gespiegelten Zuschauerraum zigarrenrauchend als eigentlicher Strippenzieher des Ganzen lauernde Komponist ihr zum Karriereende persönlich den Dolch reicht. Das Kind, das Butterfly hier an die jüngere amerikanische Sängerin und Pinkerton-Gattin Kate (Elizabeth Tredent) verliert, ist keine Leibesfrucht, sondern der weitere Bühnenerfolg. Zunächst mag das Umschalten zwischen Sein und Schein, zwischen demonstrativer Darstellung und unfreiwilliger Realität noch etwas verwirrend erscheinen. Aber bald begreift man das kunstvoll künstliche Schachspiel mit geopferter Dame auf den aufleuchtenden Bodenquadraten. Gerade im Kontrast zum explizit herbeizitierten Bühnenbusiness der 50-er Jahre einer Maria Callas.

Zumal Agnieszka Hauzer in deren Fußstapfen schon rein stimmlich faszinierend mit den Schattierungen, den falschen Hoffnungen und dem dramatischen Aufbegehren in der Titelpartie jongliert. Sie hat den weiten Atem, um die Selbstbetrug-Arie „Un bel di vedremo“ betörend strömen zu lassen, und den Aplomb für panische Attacken. In der konkurrierenden Freundin Suzuki und dem Verführer Pinkerton stehen ihr hervorragende Gesangspartner zur Verfügung. Maria Guliks russischer Mezzo glüht zwischen vorwurfsvoll und mitleidig; der russisch-burjatische Tenor Mergen Sandanov kann Parlando und metallisch aufstrahlende Emphase.

Dass Kiels Erster Kapellmeister Daniel Carlberg das bestens aufgelegte Philharmonische Orchester im Rücken der Puccini-Randfigur (Julian Kurtz), der hämischen Kollegen Goro und Bonze (Fred Hoffmann und Matteo Maria Ferretti) sowie der Chorsolisten auf der Hinterbühne über Monitore leiten muss, zeitigt keinerlei Wackelkontakte. Außerdem hört man im Kammerspiel der Protagonisten Gesangsdetails, die sonst leicht im Verismo-Strom baden gehen. Und Carlberg findet (zum Beispiel im Liebesduettieren des Ersten Teils) zu einer in den musikalischen Bewegungsgesten auffällig tempoflexiblen Tuschzeichnung der fernöstlich angehauchten Partitur. Mit halber Kapazität, aber spürbar doppelt intensiver künstlerischer Energie ist die Oper Kiel in die Saison gestartet - Ovationen des Premierenpublikums sind der Lohn.



Aus: „Schleswig Holsteinische Landeszeitung“ vom 31.8.2021

Werner Bodendorff: „Frenetischer Applaus“

Stehender und frenetischer, mehr als zehnminütiger Applaus für die Akteure der Bühnenaufführung von Madame Butterfly von Giacomo Puccini in der Kieler Oper. Dieser galt insbesondere auch Agnieszka Hauzer in der tragenden Rolle als zunächst porzellanzarte Madame Butterfly: Ihre Darstellung der bis zur Verzweiflung ausharrenden Ehefrau, die erst am Ende jäh die Erkenntnis gewinnt, dass sie ihren treulosen Mann und das gemeinsame Kind auf ewig verliert, und die zuletzt den „ehrenvollen“ Tod sucht, ist ausdrucksstark und ergreifend.


zurück