Während sich das Ensemble auf die Puccini-Probe vorbereitet,
schlurft das alte Theatertier, die Souffleuse, zu ihrem Platz am Rande
der Bühne. Kammerschauspielerin Almuth Schmidt wird ihr zweieinhalb
Stunden stille Bühnenpräsenz verleihen. Alles hat diese Madame
Chrysanthème schon erlebt in der Opernwelt: hochgejubelt als steppender
Kinderstar
Little Miss Butterfly (ebenso ausdrucksstark: Mara Peter), später
gefordert, gefördert und gefährdet als Primadonna…
Nur einmal wird sie nun - beinahe - in das zwischen Opernprobe und
Hinterbühnenrealität changierende Spiel eingreifen, um Schlimmes zu
verhindern. Das, was ihr einst geschah und hier wieder gnadenlos vor
Augen geführt wird: Wenn Cio-Cio-San wie ein schöner japanischer
Schmetterling für die Sammlung des amerikanischen Schürzenjägers
Pinkerton aufgespießt wird und im Zenit ihrer Gesangskarriere einmal
alles auf die anspruchsvolle Karte Butterfly setzt.
Der Regisseur Joachim Rathke landet so tatsächlich einen Puccini-Coup.
Ausgewählte Szenen der bekannten Bilderbuch-Tragödie um die vom
sextouristischen Kolonialherren verlassene Geisha präsentiert er in den
wunderschönen Kostümen von Ausstatterin Claudia Spielmann als opulentes
Theater auf dem Theater. Andere aber erscheinend doppelbödig
ungeschminkt im Zwielicht der missgünstig konkurrierenden
Ensemble-„Familie“.
Cio-Cio-Sans unwirksamer Ehevertrag wird kurzerhand zum auslaufenden
Kontrakt mit dem Impresario Sharpless (eindrucksvoll undurchsichtig:
Stefano Meo) umgedeutet. Kein Wunder, dass der im gespiegelten
Zuschauerraum zigarrenrauchend als eigentlicher Strippenzieher des
Ganzen lauernde Komponist ihr zum Karriereende persönlich den Dolch
reicht. Das Kind, das Butterfly hier an die jüngere amerikanische
Sängerin und Pinkerton-Gattin Kate (Elizabeth Tredent) verliert, ist
keine Leibesfrucht, sondern der weitere Bühnenerfolg. Zunächst mag das
Umschalten zwischen Sein und Schein, zwischen demonstrativer
Darstellung und unfreiwilliger Realität noch etwas verwirrend
erscheinen. Aber bald begreift man das kunstvoll künstliche Schachspiel
mit geopferter Dame auf den aufleuchtenden Bodenquadraten. Gerade im
Kontrast zum explizit herbeizitierten Bühnenbusiness der 50-er Jahre
einer Maria Callas.
Zumal Agnieszka Hauzer in deren Fußstapfen schon rein stimmlich
faszinierend mit den Schattierungen, den falschen Hoffnungen und dem
dramatischen Aufbegehren in der Titelpartie jongliert. Sie hat den
weiten Atem, um die Selbstbetrug-Arie „Un bel di vedremo“ betörend
strömen zu lassen, und den Aplomb für panische Attacken. In der
konkurrierenden Freundin Suzuki und dem Verführer Pinkerton stehen ihr
hervorragende Gesangspartner zur Verfügung. Maria Guliks russischer
Mezzo glüht zwischen vorwurfsvoll und mitleidig; der
russisch-burjatische Tenor Mergen Sandanov kann Parlando und metallisch
aufstrahlende Emphase.
Dass Kiels Erster Kapellmeister Daniel Carlberg das bestens aufgelegte
Philharmonische Orchester im Rücken der Puccini-Randfigur (Julian
Kurtz), der hämischen Kollegen Goro und Bonze (Fred Hoffmann und Matteo
Maria Ferretti) sowie der Chorsolisten auf der Hinterbühne über
Monitore leiten muss, zeitigt keinerlei Wackelkontakte. Außerdem hört
man im Kammerspiel der Protagonisten Gesangsdetails, die sonst leicht
im Verismo-Strom baden gehen. Und Carlberg findet (zum Beispiel im
Liebesduettieren des Ersten Teils) zu einer in den musikalischen
Bewegungsgesten auffällig tempoflexiblen Tuschzeichnung der fernöstlich
angehauchten Partitur. Mit halber Kapazität, aber spürbar doppelt
intensiver künstlerischer Energie ist die Oper Kiel in die Saison
gestartet - Ovationen des Premierenpublikums sind der Lohn.
Stehender und frenetischer, mehr als zehnminütiger Applaus für die Akteure der Bühnenaufführung von Madame Butterfly von Giacomo Puccini in der Kieler Oper. Dieser galt insbesondere auch Agnieszka Hauzer in der tragenden Rolle als zunächst porzellanzarte Madame Butterfly: Ihre Darstellung der bis zur Verzweiflung ausharrenden Ehefrau, die erst am Ende jäh die Erkenntnis gewinnt, dass sie ihren treulosen Mann und das gemeinsame Kind auf ewig verliert, und die zuletzt den „ehrenvollen“ Tod sucht, ist ausdrucksstark und ergreifend.